SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

07MAI2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

König Saul, den ersten Herrscher von Israel, hatte sein Charisma verlassen – so erzählt es die Bibel im Alten Testament. Noch zu Beginn seiner Herrschaft hatte er ein Händchen gehabt für Politik, war ein geschickter Taktiker gewesen im Kräftespiel der Macht, damals, vor über 3000 Jahren: von Gott gesegnet hat er die richtigen Entscheidungen getroffen. Aber einmal auch die falsche – und ab da war es vorbei mit dem Segen.

Von König Saul ist heute in vielen evangelischen Gottesdiensten zu hören, und von den Folgen, die das für ihn gehabt hat: Saul wurde krank, seelisch krank, jähzornig und auch schwermütig. Saul hat Depressionen – die biblische Erzählung nennt es einen bösen Geist. Und dieser Geist macht ihn unberechenbar für seine Umgebung, seinen Hofstaat und die Regierung. Was also tun? Sauls Depressionen waren gefährlich fürs Land und seine Politik. Wie dem König helfen?

Musik vielleicht, dachten seine Knechte. Und sie schlagen dem König vor, einen Harfenspieler an den Hof zu holen. Jemand, der den bösen Geist der Schwermut mit Klängen für die Seele verjagen kann. Und es findet tatsächlich einer: ein junger, stattlicher Mann namens David. Gottes Geist ist mit ihm, so erzählt es die Bibel, und er gewinnt das Herz und das Vertrauen seines Königs. Aber das Kostbarste für den König ist sein Harfenspiel. Musik für die Seele, die die bösen Geister verjagt – Musik, die inneren Frieden schenkt.

Es ist eine wunderbare Geschichte, finde ich: eingebettet in Erzählungen über Politik und militärische Stärke erzählt sie von einer Macht der ganz anderen Art: von der Musik, von Harfenklängen und Gesang. Sie bringt dem König Frieden für die Seele, macht seinen Geist freier und seine Entscheidungen weiser. Musik, Schönheit, Kunst und Kultur haben eine ganz eigene Kraft und können viel bewirken.

Ich denke, diese Kraft wird heute oft unterschätzt. In Krisenzeiten scheinen andere Dinge eben wichtiger zu sein als ausgerechnet Musik. Nahrungsmittel zum Beispiel – natürlich sind die am wichtigsten für die, die eingeschlossen in einem Kriegsgebiet leben müssen oder in einem Flüchtlingslager gestrandet sind. Aber gerade hier machen die Menschen auch immer Musik, singen und tanzen gemeinsam – einfach um Mensch zu bleiben. Als es in Coronazeiten bei uns keine Konzerte mehr gegeben hat und auch kein Kirchenchor mehr proben konnte – da haben die Menschen alle möglichen Wege gesucht, um trotzdem gemeinsam Musik zu machen – und sei es auf dem eigenen Balkon oder über den Computer.

Und König Saul in der Bibel? Der steckt in einer schweren persönlichen Krise. Seine Regierungsarbeit bekommt er kaum noch in den Griff. Und alles scheint jetzt wichtiger zu sein als ausgerechnet Musik. Aber Musik ist es, die ihm hilft – die ihn geradezu rettet!  Musik für die Seele, die die bösen Geister verjagt – Musik, die inneren Frieden schenkt.

Kriseninterventionsmittel Musik – Kunst, Schönheit und Kultur. Sie ist keine Nebensache, kein Luxus und nichts Überflüssiges. Sie bringt die Seele zum Klingen, hilft, sich selbst wiederzufinden und bringt Menschen einander näher. Und Singen ist dabei noch einmal etwas ganz besonderes: Denn beim Singen geht die Musik durch den ganzen Körper hindurch: Einatmen, den Kopf heben und dann sich trauen, die eigene Stimme hören lassen und sein innerstes zeigen.

Der Sonntag heute trägt den Namen „Kantate – Singet!“ Und ich spinne für mich die biblische Erzählung von König Saul weiter: und stelle mir vor, wie Saul vielleicht mitgesungen hat, gemeinsam mit David und seiner Harfe. Wie er tief eingeatmet hat, aufgeatmet hat. Und dann, die Lungen gefüllt mit Leben – losgesungen hat: Ein Loblied für Gott mit Musik für die Seele.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37620
weiterlesen...