Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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10MAI2023
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Wer trauert, träumt auch oft. Wenn jemand einen lieben Menschen verloren hat, dann kann es sein, dass er nach einer gewissen Zeit den Verstorbenen in seinen Träumen sieht. Das kann atemberaubend sein und befremdlich zugleich. Mein Vater zum Beispiel hat nach dem Tod meiner Mutter immer wieder von ein und demselben Traum erzählt. Er hat sie durchs Küchenfenster auf unser Haus zukommen sehen, und ist dann im Traum ganz schnell rausgelaufen, um ihr entgegen zu gehen. Aber am Hoftor ist sie immer wieder einfach weitergegangen, ohne sich zu ihm umzudrehen. Sie hat ihn einfach stehen lassen, ohne einen Blick, eine Geste, ein Zeichen der Verbundenheit.

Das hat meinen Vater jedes Mal so dermaßen berührt, war für ihn so schön und so schrecklich zugleich. Er war meiner Mutter im Traum nochmal ganz nah, aber zur gleichen Zeit hat er erleben müssen, dass er endgültig von ihr getrennt ist. Wenn die Trauer träumt, dann ist das immer Beides gleichzeitig: es tut gut und es tut weh. Unsere Toten sind unwiederbringlich weit weg in einer für uns nicht mehr zugänglichen Welt. Und selbst wenn sie uns im Traum so nahekommen, bleibt es doch bei dieser schmerzhaften Distanz.  Das hat sich schon damals beim allerersten Ostermorgen auf dem Friedhof in Jerusalem so angedeutet.  Da trifft der auferstandene Jesus auf Maria, aber lässt sich von ihr nicht anfassen oder berühren.  Es gibt da eine bis auf Weiteres unüberbrückbare Trennung zwischen Hüben und Drüben. Diesseits und Jenseits. Wie es dort wirklich ist, das können wir uns im Traum nicht wirklich vorstellen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37608
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