Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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05MAI2023
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Ein eleganter älterer Herr hält mir mit ausladender Geste die Tür auf und lächelt mich an: „Schönheit zuerst!“ Überrascht schaue ich ihn an und gehe ein bisschen zögerlich vor ihm aus dem Buchladen hinaus.

Draußen vor der Tür holt der Mann mich nochmal ein, er schaut mich von der Seite an und sagt: „Es tut mir leid, wenn ich Ihnen eben zu nahe getreten bin.“ Ich darauf: „Nein, nein. Ich war nur überrascht. Aber danke, dass Sie mir das noch dazu gesagt haben.“

Nach dem kurzen Gespräch bin ich ins Büro und habe meinen Kolleginnen das Ganze erzählt. Die eine hat gleich gemeint: „Ist der noch da? Ich will auch so ein Kompliment!“ Sie legt mir einen Arm um die Schultern und sagt: „Rahme es dir in Gedanken ein und hänge es dir auf. So was bekommt man nicht alle Tage.“ Aber meine andere Kollegin hat die Augenbrauen hochgezogen und geseufzt: „Ich verstehe euch nicht. Ich wäre mir dabei vorgekommen, als hätte mir jemand einen Stempel aufgedrückt.“

Mit Komplimenten ist das so eine Sache. Was der einen gut tut, kann für den anderen zu viel oder unangenehm sein. Außerdem können solche nett gemeinten Höflichkeiten auch missverstanden werden und im schlimmsten Fall verletzen. Und natürlich gibt es auch falsche oder übergriffige Komplimente, mit denen ich beim anderen eine Grenze überschreite und er oder sie fühlt sich dann durch das, was ich sage, abgewertet. 

Ich merke aber auch: ein Kompliment oder ein nettes Wort, das von Herzen kommt, kann mir so gut tun und meinen Tag heller machen. Ich fühle mich dann gesehen mit dem, was ich leiste oder einfach so, wie ich eben bin.

Eigentlich schade, dass ich zum Beispiel meinem Lieblingsmenschen viel zu selten sage, was ich an ihm mag. Dabei ist das so wichtig, gerade weil sonst ja oft im Vordergrund steht, was noch fehlt oder schief läuft. 

Aber ein echtes Kompliment zu machen, bei dem ich den anderen wirklich meine und das bei ihm auch ankommt, ist gar nicht so einfach. Ich muss sensibel dafür sein, was ich sage und wie, wann und vor allem zu wem. Und es muss einfach ehrlich sein und von Herzen kommen, sonst ist es nicht echt. Wenn alles stimmt, kann so ein Kompliment wirklich ein Geschenk sein.

Ich mag Komplimente, die von Herzen kommen. Das fühlt sich fast so an, als würde Gott mir in so einem Moment liebevoll zulächeln, und dann wird mein Tag tatsächlich ein kleines bisschen heller.

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