SWR2 Wort zum Tag

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06MAI2023
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„Lege Wert auf gute Gesellschaft – auch wenn Du allein bist“ – diesen Spruch habe ich auf einer Postkarte bei einer alten Dame entdeckt, die ich neulich besucht habe. Als die Frau  gesehen hat, dass ich den Spruch gelesen habe, hat sie mir zugelächelt. „Ja“, sagt sie, „das ist ein altes ungarisches Sprichwort. Als mein Mann gestorben ist, hat mir eine Freundin diese Karte geschenkt. Und seitdem lebe ich entsprechend: Ich lege Wert auf gute Gesellschaft – auch, wenn ich alleine bin.“

Da bin ich neugierig geworden: „Wie wird man sich denn selbst zur guten Gesellschaft?“, will ich wissen. „Es gibt dafür kein Patentrezept“, antwortet sie, „aber für mich sind drei Aspekte wichtig. Zuerst einmal muss ich meine Situation annehmen. Ich darf mich nicht davor verstecken, dass nur ich es bin, die ich gerade als Gesellschaft habe. Ich darf mich nicht vor mir selbst verstecken. Das heißt für mich: Jeden Morgen mache ich nach dem Wort zum Tag das Radio aus und lege die Zeitung zur Seite. Ich atme ruhig ein und aus und spüre in mich hinein. Ich kann mir nur dann selbst eine gute Gesellschaft sein, wenn ich weiß, wie es mir gerade geht. – Und dann mache ich am Tag mindestens eine Sache, die mir guttut. Ich gehe spazieren oder ich rufe eine Freundin an. Ohne weiteren Grund, nur, weil es mich erfreut. Manchmal tut es mir auch gut, an einem Tag ganz wenig zu machen. Solche ruhigen Tage braucht man öfter, wenn man älter wird. Dazu muss man gnädig mit sich selbst sein: einen gnädigen Blick auf sich selbst einüben, das ist wichtig.“

„Und der dritte Aspekt?“ frage ich. „Manchmal fühle ich mich nicht nur allein, sondern einsam. Also verloren und traurig. Und dann erinnere ich mich daran, dass ich eigentlich nie so ganz einsam bin. Weil da noch einer ist, der mir nah ist. Gott. Es gibt ein wunderbares Psalmwort, das genau passt: ‚Von allen Seiten umgibst Du mich. Und hältst Deine Hand über mir‘. Ich spüre dem nach, wo Gott gerade ist. Auf welche Weise er mich umgibt. Begegne ich Gott in der Lebendigkeit meines Atems? Oder im Aufblühen der Blume auf meinem Fensterbrett? Oder in einem Bibelwort? Wenn ich Gottes Gegenwart nachspüre, geht es mir oftmals wieder besser. Und ich kann mir selbst wieder das sein, worauf ich so großen Wert lege: eine gute Gesellschaft.“  

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