SWR2 Wort zum Tag

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04MAI2023
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Die Grenze zwischen Nord- und Südkorea ist die am stärksten militarisierte Grenze der Welt: überall Raketen und Soldaten. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Denn vor einigen Wochen bin ich zusammen mit anderen Ludwigsburger Pfarrern nach Südkorea geflogen, hin zu unserer Partnerkirche in Seoul. Am dritten Tag sind wir an die innerkoreanische Grenze gefahren. Sie besteht seit 70 Jahren, seit dem Ende des Koreakrieges.

Inmitten dieser öden, hochmilitarisierten Umgebung haben wir  Pfarrer Jon getroffen. Ein Mann um die 60, sehr fröhlich, sehr gebildet, sehr willensstark. Bis vor 15 Jahren ist er Pfarrer einer großen, angesehenen Gemeinde mitten in Seoul gewesen. Mit gutem Einkommen und allen Annehmlichkeiten des modernen Großstadtlebens. Doch ihn hat eine prophetische Unruhe hinausgetrieben aus der Stadt, hin an die Grenze. Jetzt steht er auf einer Baustelle und lächelt. Er erzählt: „Ich will hier ein Zeichen setzen: dass die Logik des Militärs nicht das letzte Wort hat.  Schau mal hier“, sagt er und zeigt auf seine Baustelle: „Dort entsteht ein Gästezimmer für Menschen, die an der Grenze entlangwandern. Junge Menschen aus aller Welt sind das. Pilger, die damit ein Friedenszeichen setzen wollen. Und dort drüben, in dem Haus, das wir schon länger besitzen, da essen wir alle gemeinsam, jeden Tag.“ Sein Projekt nennt er „Border Peace School“: Grenzschule des Friedens.

Gerade als Pfarrer Jon mit uns spricht, fliegt ein Schwarm von Kranichen über unsere Köpfe hinweg. In großer Ruhe und mit majestätischen Bewegungen segeln die wunderschönen Vögel durch die Luft. Pfarrer Jon sagt zu mir. „Sie fliegen über die Grenze, hinüber nach Nordkorea. Dort finden sie reichlich Nahrung. Und dann fliegen sie wieder zurück und schauen, was es hier Gutes für sie gibt. Die Kraniche sind für mich Botschafter der Freiheit: Sie überwinden jede Grenze. Und sie erinnern uns daran, dass wir nicht aufhören sollen zu träumen. Grenzen sind menschengemacht. Sie wurden aufgebaut von uns Menschen und können daher auch wieder von uns Menschen abgebaut werden. – Das bringt mich zu meiner Grundüberzeugung“, sagt Pfarrer Jon. „Frieden ist keine Illusion. Frieden ist ganz konkret. Frieden ist eine Praxis, die wir einüben. Jeden Tag, an jedem Ort, egal, wo wir gerade sind.“

Ja, meine Reise nach Südkorea hat mich sehr beeindruckt: Mit den Kranichen träumen. Von der Freiheit und davon, dass Grenzen durchlässig werden. Und mit Pfarrer Jon darum wissen, dass Frieden keine Illusion ist und keine bloße Idee. Sondern eine Praxis, für jeden einzelnen Tag.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37539
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