SWR1 Begegnungen

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23APR2023
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Tanja Dittmar Foto: Pinar Yüzgec Elma

Martina Steinbrecher trifft Pfarrerin Tanja Dittmar, Gastgeberin des Frauenmahls am 11.05. in der Heidelberger Heiliggeistkirche, und spricht mit ihr über die Tradition der Frauenmahle, über die Frage, ob Frauen, wenn sie unter sich sind, anders reden (und wenn ja, wie und warum?) und ob ein Dreigängemenu in einer Kirche besser schmeckt als im Restaurant.

Die Einladung zum Frauenmahl in der Heidelberger Heiliggeistkirche ist in grellem Pink gehalten. „Frauen. Gestalten. Zukunft.“, steht in einem blasseren Farbton darunter. Der altehrwürdige Kirchenraum kriegt diese Gestaltungskraft als erster zu spüren: Er wird in einen Festsaal verwandelt. Schön gedeckte Tische für Speis und Trank, Musik und Tanz. Tanja Dittmar ist Pfarrerin und eine der Gastgeberinnen der Veranstaltung. Was macht für sie den Reiz so eines Frauenmahls aus?

Ich glaube, das ist so eine Kombination: Einmal einfach nur Frauenpower in der Kirche zu erleben und auch Kirche mal ganz anders zu erleben. Dass man sich da ganz anders bewegen darf, die Kirche als ganz anderen Raum von Atmosphäre mitzukriegen, dass man da essen darf, sich unterhalten darf. Also alles, was man nicht unbedingt mit Kirche in Verbindung bringt.

Aber genau das ist doch Kirche: Miteinander essen. In Bewegung kommen. Gute Gespräche führen. Aufmerksam zuhören. Sich inspirieren lassen. Die Idee, aus diesen Bausteinen ein eigenes Format von Frauen für Frauen zu entwickeln, ist in den Vorbereitungen zum Reformationsjubiläum 2017 entstanden. Der ursprüngliche Ideengeber aber war ein Mann:

Das ist ja entstanden in der Reformationsdekade der Evangelischen Kirche in Deutschland in Anlehnung an die Tischreden bei Luther. Da gab es ja wahrscheinlich auch immer gutes Essen von der Käthe Luther. Und Martin Luther hat dann theologische Sachen formuliert.  

Die Frau hat gekocht. Und der Mann gehaltvolle Reden geschwungen: Diese Luther’sche Rollenverteilung aus dem 16. Jahrhundert haben die Heidelbergerinnen einfach umgedreht: Beim Frauenmahl steht ein Mann in der Küche, die vier Tischreden aber werden ausschließlich von Frauen gehalten. Wie maßgeblich Frauen an der Gestaltung von Zukunft beteiligt sind, kommt im Arbeitstitel des Abends zum Ausdruck: „Von der Wiege bis zur Bahre. Und alles dazwischen.“

… dass wir eine Hebamme gefunden haben, eine Bestatterin und eine Winzerin, die auch noch eine ganz besondere Lebensgeschichte hat, nämlich eine transsexuelle Winzerin. Und natürlich noch die Beate Herrmann als Vorsitzende des klinischen Ethikkomitees in der Universitätsklinik Heidelberg: Deckt mit den vier Frauen fast alle Lebensbereiche ab zwischen geboren werden und sterben.

In allen Lebensbereichen, im akademischen Umfeld genauso wie in ganz handfesten handwerklichen Berufen, arbeiten Frauen innovativ und federführend an der Gestaltung von Zukunftsräumen mit. 

Pfarrerin Tanja Dittmar lädt in diesem Jahr bereits zum zweiten Mal zu einem Frauenmahl in die Heidelberger Heiliggeistkirche ein. Die erste Veranstaltung war mit 85 Frauen sofort ausgebucht.  Ich habe sie gefragt, warum unter den Gästen keine Männer zugelassen sind.

Also ich glaube schon, dass Frauen sich dann noch einmal anders wahrnehmen, unterstützen und vernetzen können und ermutigen können. Manchmal wird ja Frauen auch vorgeworfen, sie sind nicht solidarisch genug. Aber es soll eben ein Raum sein, wo das passieren kann, und wo man sich gegenseitig inspirieren kann, vielleicht auch ein sicherer Raum. Natürlich sind wir in der Kirche mittlerweile, in der evangelischen vor allem, sehr gleichberechtigt. Und doch nochmal darauf hinzuweisen und es, ja, noch mal zu verstärken.

Ich bin ehrlich gesagt immer auch erstaunt, dass das nach hundert Jahren des intensiven Einsatzes von Frauen für ihre Gleichberechtigung noch so ein großes Thema ist. Braucht es wirklich noch geschützte Räume für den gegenseitigen Austausch? Tanja Dittmar meint:

Ja, ich glaube schon, dass wir das noch brauchen, Das weiß man ja auch. Dass das noch nicht so üblich ist, dass die Männer auch die Care-Arbeit zuhause übernehmen. Wenn Frauen berufstätig sind, machen sie zuhause noch die Care-Arbeit, also sind einfach immer noch vielfältiger in den meisten Fällen vereinnahmt und in der Verantwortung als Männer. Und an so einem Abend das mal wertzuschätzen, dass es eben nur Frauen sind, und Zeit und Raum zu bieten, in der Frauen sich erholen können, sich gegenseitig stärken können.

Tanja Dittmar hat selbst beim letzten Frauenmahl wertvolle Impulse mitgenommen, über die sie noch heute nachdenkt. Die Rednerin, die sie am meisten beeindruckt hat, hat damals über das von Frauen oft unterdrückte Gefühl der Wut gesprochen: 

Wenn man wütend ist als Frau, ist man zickig oder ich weiß nicht, was. Aber dass dieses Gefühl einfach mal ganz positiv vorgestellt wird, sozusagen erlaubt wurde den Frauen, ermutigt wurde, sogar zu sagen, ja klar, man darf wütend sein, und dann muss man sich nicht schlecht, nicht schuldig oder was auch immer fühlen, sondern das weist auf einen Missstand hin und das darf sein.

Sich nicht schlecht, sondern wohl fühlen. Andere Frauen kennenlernen, die sich kluge Gedanken machen. In einer schönen Umgebung ein festliches Essen genießen. In konzentrierter Form erleben, was Frauen auch sonst im Leben wichtig ist. Tanja Dittmar ist überzeugt: Eine Veranstaltung wie das Frauenmahl ist zukunftsweisend. Es …

… lässt Kirche einfach nochmal in einem ganz anderen Blick erscheinen, also das Gebäude wie auch die Institution Kirche und vielleicht auch den Glauben: eben zusammenkommen, zu sprechen, zu essen und miteinander über wirklich die Themen des Lebens zu reden. 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37520
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