SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

25APR2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Da sage nochmal einer, dass sich Freundlichkeit nicht auszahlt! Eine Französin hat ihr gesamtes Vermögen an etwa 200 ziemlich fremde Menschen vererbt. Diese haben nur eines gemeinsam: sie waren irgendwann mal freundlich zu ihr.

Die Frau war 86 Jahre alt und hieß Jeannine. Sie hat im nordfranzösischen Städtchen Dieppe an der Atlantikküste gelebt. Als sie beerdigt wurde waren keine zehn Trauergäste da, denn sie war weder verheiratet, noch hatte sie Kinder oder Geschwister. Und obwohl sie ganz bescheiden in einer Wohnsiedlung gelebt hat, hatte sie stolze 280.000 Euro beiseitegelegt.

Für den zuständigen Notar war es eine ganz schöne Detektivarbeit, bis er das handgeschriebene Testament von Jeannine entziffert hatte. Es standen ungefähr 200 Namen darin. Über ein Jahr hat er gebraucht, bis er diese Menschen mit Hilfe von Befragungen oder Telefonbuch gefunden hat. Auf Jeannines Liste standen nämlich meist nur die Vornamen oder nur kurze Beschreibungen. Beschreibungen von Menschen, die ihr irgendwann einmal behilflich waren, die ihren Seniorenalltag erleichtert haben, oder die einfach nur nett zu ihr waren.

Sie hat zum Beispiel in ihr Testament geschrieben: „Der nette Busfahrer Georges, der für mich auch mal zwischen zwei Haltestellen angehalten hat“. Oder: „der Briefträger Julien, der mir die Post immer direkt vor die Wohnungstür gelegt hat“. Auf Jeannines Erbenliste standen auch eine Kassiererin aus dem Supermarkt um die Ecke, ein Apotheker, ein Metzger und verschiedene Krankenpfleger, die sie gepflegt haben. Es reichte jeweils aus, etwas Freundliches zu sagen, eine kleine Hilfestellung zu leisten oder die alte Dame besonders nett zu bedienen. Und alle von ihnen erhielten ca. 1.200 Euro.

Jeannine hat in ihrem Testament geschrieben: „Falls sich einer der Erben nicht an mich erinnert: ich bin die alte Dame mit dem weißen Regenmantel und den zwei Gehstöcken.“ Nachdem der Notar alle Wohltäter gefunden hatte, meinte er: „Das ist zwar eine schöne Geschichte, aber nicht für mich, denn das war richtig anstrengend.“

Ich finde Jeannines Idee toll. Dass sie so großzügig war zeigt mir, wie sehr sich manche Menschen über Kleinigkeiten freuen, auch wenn sie mir selbstverständlich erscheinen. Und auch wenn ich für einen kleinen Gefallen nicht gleich erbe, Freundlichkeit zahlt sich meistens aus. Und manchmal sogar anders, als ich denke.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37463
weiterlesen...