SWR4 Sonntags-/Feiertagsgedanken

16APR2023
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Neulich war ich wieder einmal in dem Städtchen, in dem ich als Student gelebt habe. Da bin ich ab und zu. Dort lebt auch immer noch ein alter Freund. Aber eine bestimmte Straße gibt es, da war ich tatsächlich seitdem nicht mehr. Damals, da bin ich die fast jeden Tag gegangen. Das ist jetzt über 30 Jahre her.

Es ist eine lange Straße, man kann in Ruhe nachdenken. Sich erinnern. Eigentlich hat sich gar nicht viel verändert. Die Häuser, die Gärten: mehr oder weniger wie vor 30 Jahren. Doch, hier und da steht ein neues Haus. Oder wurde umgebaut. Oder aufgestockt. Die Autos sehen anders aus als 1990. Aber sonst: eigentlich wie damals.

Und ich? Wie sehr habe ich mich verändert in dieser Zeit? Es hat sich alles vertraut angefühlt auf dieser Straße. Aber das ist nicht mehr mein Zuhause.

Und würde ich wirklich tauschen wollen – ich heute mit mir vor 30 Jahren? Ich glaube, ich war damals ziemlich anstrengend. Auch für mich selbst. Ich habe im Brustton der Überzeugung über Sachen geredet, von denen ich nicht viel Ahnung hatte. Heute habe ich wahrscheinlich auch nicht viel mehr Ahnung. Aber ich schweige dann schon mal. Lächele, denke mir meinen Teil.

Anderseits: Wäre es nicht toll, wirklich noch einmal ganz neu anzufangen? Davon spricht ein Satz aus der Bibel. Der führt wirklich ganz bis zum Anfang zurück. Es ist der Bibeltext für den heutigen Sonntag. Der geht so: „Verlangt wie neugeborene Kinder nach der unverfälschten, geistigen Milch, damit ihr durch sie heranwachst und Rettung erlangt!“

Noch einmal ganz von vorne anfangen. Wie ein kleines Kind. Nichts wissen, nichts können. Alles von anderen bekommen und darin wachsen. Buchstäblich wie ein Säugling. Wird das heute von mir erwartet? Will dieser Satz aus der Bibel, dass ich zurück zum Start gehe? Und dann?

Ich spiele das einmal durch: Dann würde ich den alten Weg vielleicht gehen wie vor über 30 Jahren zum ersten Mal. Nicht wissen, was kommt. Wie es hinter der Biegung da weitergeht.

Der liebe alte Mensch, der immer die gleichen Geschichten von früher erzählt – dem würde ich plötzlich neugierig zuhören. Ich hätte die Geschichten ja noch nie gehört!

Und ich hätte noch keine Ahnung, was „man“ angeblich tut und was nicht. Was man darf, was man soll, und was sich nicht gehört. Ich würde so vieles einfach ausprobieren. Und dann?

Vielleicht würde ich die Welt ganz neu entdecken. Vielleicht würde ich dabei sogar etwas wirklich Neues entdecken. Ich hätte Freude an Dingen, die alle anderen schon kennen. Aber ich ja noch nicht. Ich würde nicht mit Sorge nach vorne schauen, sondern mit Hoffnung. Gespannt, neugierig.

Und jetzt frage ich mich im Ernst: Schaffe ich das noch? In meinem Alter? Kann ich mich darauf einlassen?

Ich lese noch einmal den ganzen Satz aus der Bibel: „Verlangt wie neugeborene Kinder nach der unverfälschten, geistigen Milch, damit ihr durch sie heranwachst und Rettung erlangt!“

Unverfälschte, geistige Milch. Das klingt nach: „frei von allen Zusätzen“. Natur pur. Wie eben Muttermilch. Aber für den Geist. „Geistige Milch“, das verstehe ich so: alles, was ich denke, was ich glaube. Was ich weiß, was ich meine. Worauf ich vertraue, worauf ich hoffe. Was mein Leben bestimmt. Mein Planen und Entscheiden. Was mich seit Kindertagen prägt, was ich wie mit der Muttermilch aufgesogen habe.

Der Satz aus der Bibel lädt mich dazu ein, einmal genauer hinzusehen: Was habe ich denn von Kindesbeinen an aufgesogen wie mit der Muttermilch? War das alles gut? Oder habe ich manches den Erwachsenen einfach nur nachgeplappert, ohne es jemals zu hinterfragen? Was das reine Milch? Rein und unverfälscht? Und plappere ich das immer noch nach?

Ich habe mir einmal angeschaut, wo der Satz in der Bibel steht. Was da im Zusammenhang sonst noch alles steht. Da heißt es, dass wir uns ganz auf Jesus verlassen sollen. Dass wir uns ganz auf ihn einlassen sollen. Und damit ganz auf Gott vertrauen. Uns hingeben wie ein kleines Kind. Wir sollen alles ablegen, was falsch und schlecht ist. Dinge wie Heuchelei, Neid und üble Nachrede. Ja, wir sollen wirklich neu beginnen. Und so von Neuem wachsen. Dann wird es gut.

Ich gehe in Gedanken noch einmal den Weg von früher. Den ich vor 30 Jahren fast täglich gegangen bin. Da war ich ja auch schon Jahre entfernt von der unverfälschten Muttermilch. Da hatte sich doch vieles schon festgesetzt. Aber ich war doch noch sehr neugierig. Wie geht es da weiter, da hinter der Wegbiegung? Und dann habe ich mich jedes Mal auf die Freunde gefreut, die ich da besucht habe, am Ende des Weges.

Der Satz aus der Bibel lädt mich dazu ein, mit solcher Freude und Neugier in die Zukunft zu schauen. Nicht immer gleich zu sagen: „Ach, das hat ja doch keinen Zweck!“ Sondern es einfach mal zu probieren. Einfach anzufangen. Voller Vertrauen auf Gott. Wirklich ein bisschen wie ein neugeborenes Kind. Ohne Heuchelei, Neid und üble Nachrede.

So ein Baby ist völlig abhängig von anderen. Alleine bringt es nicht viel zustande. Es braucht andere. Ja, ich auch. Sie auch. Wir alle.

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37440
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