SWR2 Zum Feiertag

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10APR2023
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Jesus lebt, mit ihm auch ich
Bach-Chor Leverkusen

 Rittberger-Klas: „Jesus lebt, mit ihm auch ich – Tod, wo sind nun deine Schrecken?“ So heißt es trotzig im Osterlied, das wir gerade gehört haben. An Ostern feiern Christen das Leben – im Angesicht des Todes.
Leben und arbeiten mit dem Tod vor Augen, das ist auch Alltag für Nadia Oberste-Lehn. Sie ist Bestattermeisterin in Tübingen. Mit ihr spreche ich heute, am Ostermontag: Darüber, wie man dem Leben zugewandt bleibt, wenn man so viel mit dem Tod zu tun hat. Und darüber, was die christliche Osterbotschaft von der Auferstehung für sie bedeutet.
Frau Oberste-Lehn, an Ostern wird in den Kirchen der Sieg des Lebens über den Tod gefeiert. Der Tod hat seine Macht verloren, das ist die Botschaft. Aber gleichzeitig ist der Tod ja weiter Teil unseres Lebens, sonst bräuchten wir Ihren Beruf nicht. Ist es nicht erst einmal wichtig, das nicht zu verdrängen?

Oberste-Lehn: Auf jeden Fall! Der Tod ist ja trotzdem ein Einschnitt. So wie es bis dahin war wird es nie wieder sein. Wer sich bis zum Tod eines lieben Menschen nicht damit beschäftigt, fällt womöglich in ein noch tieferes Loch. Viele bereiten sich und die Angehörigen auf den eigenen Tod vor: Sie bestimmen die Lieder, die an der Trauerfeier gesungen werden sollen, sie suchen sich Blumen aus… Und das hilft. Wenn es so weit ist, können sich die Angehörigen viel mehr darauf konzentrieren, um einen lieben Menschen zu trauern – und das hilft einfach in so einem Fall.

Rittberger-Klas: Sie gehen täglich mit Toten um. Und auch mit Menschen, die trauern. Aber Sie wirken ganz und gar nicht wie ein trauriger Mensch. Sondern im Gegenteil sehr lebendig. Was hilft Ihnen dabei?

Oberste-Lehn: Der Beruf der Bestatterin, des Bestatters bedeutet immer eine Gradwanderung zwischen Empathie und professioneller Distanz. Ich darf nicht alles an mich heranlassen, muss aber natürlich trotzdem zugewandt und einfühlsam auf die Trauernden zugehen. Das ist nicht immer leicht und manche Geschichten Schicksale gehen natürlich auf mir nahe.
Darüber hinaus ist ein privater Ausgleich wichtig. Bei mir ist es meine Familie – ich habe einen vierjährigen Sohn – der Sport im Verein, das Ehrenamt in meiner Kirchengemeinde. Da kann ich die Arbeit Arbeit sein lassen und bin eben nicht Bestatterin.

Rittberger-Klas: Ist es auch so, dass der Umgang mit dem Tod besonders deutlich macht, dass es ein Geschenk ist, am Leben zu sein? Ein Grund zur Dankbarkeit? Empfinden Sie das so?

Oberste-Lehn: Ja, es gibt diesen aus meiner Sicht etwas überstrapazierten Satz: „Lebe jeden Tag als ob es dein letzter wäre.“ Ja, der ist tatsächlich übertrieben und unrealistisch. Aber natürlich kann ich aus meiner beruflichen Erfahrung sagen: Ich weiß, wie schnell es zu Ende sein kann. Wie ganz anderes das Leben, die Paarbeziehung, das Familienleben laufen kann. Da wird der Familienvater aus dem Leben gerissen, oder ein junger Mensch stirbt, bevor er wirklich ins Leben starten konnte. Wie wenig Zeit manchmal zwischen Diagnose und Tod liegt. Und umso dankbarer bin ich natürlich, wenn ich in dem Moment sagen kann: Wie schön, dass es mir und meinen Lieben im Moment gut geht.

Rittberger-Klas: In der Bibel gibt es ja ganz verschiedene Ostergeschichten. Diejenigen, die Jesus begleitet haben, erfahren die Botschaft von der Auferstehung mehrfach – auf unterschiedliche Weise. Dass sie bei ihnen ankommt, das passiert nicht mit einem Schlag. Es ist, als ob sie selbst erst wieder langsam zum Leben erwachen müssen nach dem Schock, dass Jesus sterben musste. Erleben Sie in Ihrer Arbeit auch solche Auferstehungsgeschichten? Momente, in denen Menschen, die dem Tod begegnet sind, das Leben spüren, neuen Mut schöpfen?

Oberste-Lehn: In dem Moment, in dem wir das erste Mal mit den trauernden Angehörigen in Kontakt sind, ist die Nachricht des Todes noch sehr frisch. Manche rufen uns nur wenige Minuten nach Eintritt des Todes an. Hier überwiegen verständlicherweise erst einmal andere Gefühle und Wahrnehmungen: Unverständnis, Trauer, Wut, Betroffenheit, Perspektivlosigkeit. Aber wir erfahren bei Betroffenen auch – häufig mit einigem Abstand – , dass das Leben wieder überhand gewinnt. Pflegende Angehörige können körperlich und seelisch wieder Kraft schöpfen, Menschen sehen mit Dankbarkeit auf den gemeinsamen Weg zurück. Da kann jemand mal wieder in den langersehnten Urlaub fahren und ausspannen. Oder der Gang zum Grab wird zu einer positiven neuen Gewohnheit.

Rittberger-Klas: Ist es auch so, dass die Rituale um den Tod herum hilfreich sind, wieder neu ins Leben zu finden.

Oberste-Lehn: Auf jeden Fall – oder um sich im ersten Schritt erst einmal damit auseinanderzusetzen: Einen Spruch für die Traueranzeige aussuchen, das Gespräch mit der Pfarrerin oder dem Pfarrer, ein Leben Revue passieren lassen, das hilft, in den Trauerprozess zu starten. Und ich glaube, der Start eines Trauerprozesses ist fast das wichtigstes daran. Weil, wenn ich gut starte, wenn ich mir Zeit nehme, dann komme ich gut da durch. Trauer hört nicht auf, aber sie wird anders mit der Zeit. Und wenn ich gut gestartet bin, wenn ich hilfreiche Menschen und Rituale an die Hand bekommen, dann kann ich mich auch wieder dem Leben zuwenden. Aber das ist sehr individuell. Das geht bei einigen schneller und bei anderen langsamer, das kann man gar nicht in einen Zeitfaktor setzen. Aber es ist glaube ich unheimlich wichtig, gerade beim Beginn achtsam mit sich zu sein und achtsam mit dem, was da um einen herum passiert.

Rittberger-Klas: Genau, und ich finde es eben interessant, dass das auch in der Bibel nicht mit einem Schlag geht. Eben dass da nicht in dem Moment, in dem die Jünger am leeren Grab stehen, der Jubel ausbricht, sondern es tatsächlich eine Weile dauert, bis die Botschaft ankommt und so ist es ja auch im Leben bei uns, dass man sich langsam wieder dem Leben annähert, denke ich.

Oberste-Lehn: Ja, wir merken häufig: Die Botschaft des Todes muss erstmal ankommen, das dauert auch. Menschen sitzen bei uns und sind völlig fassungslos, können es gar nicht begreifen, was da gerade passiert – auch, was für Konsequenzen das jetzt hat. Der Rückblick: O, das war das letzte Weihnachten zum Beispiel mit demjenigen, das war der letzte Geburtstag… das wird auf einmal rückblickend noch ganz anders wahrgenommen. Aber – und das merken wir – Menschen kommen nach ein paar Woche noch einmal zu uns, weil sie Danksagungskarten in Auftrag geben oder so etwas, und wir merken schon manchmal, sie gewöhnen sich langsam an diese neue Situation und können eben auch positiv zurückschauen und sagen: Mensch, das sind schön Erinnerungen, die ich mit diesem Menschen hatte! Und das kann ich auch positiv wahrnehmen und es ist nicht immer diese große schwarze Wolke der Trauer darüber.

Rittberger-Klas: Ich glaube an dieAuferstehung der Toten – das ist ein Teil des christlichen Glaubensbekenntnisses, aber es ist heute nicht mehr leicht zu vermitteln. Was bedeutet Ihnen Satz für Sie?

Oberste-Lehn: Für mich bedeutet dieser Satz – ich musste auch erst einmal darüber nachdenken – auch mit Blick auf meinen Beruf und die Geschichten und Schicksale, die ich da mitbekomme: Hoffnung und Trost. Es gibt eine Perspektive über den Tod, über das Leid und die irdischen Probleme hinaus. Der Satz – oder der Inhalt – bedeutet für mich: Die Gegenwart Gottes zu erleben und die Menschen wiederzusehen, die mein Leben begleitet haben. Jedoch: Die Auferstehung der Toten bleibt ein großes Geheimnis – aber sie lässt manchmal hier und heute Dinge kleiner werden.

Rittberger-Klas: Hilft Ihnen das bei Ihrer Arbeit, dass Sie da einen Zugang haben? Und kommen Sie darüber manchmal auch mit Menschen ins Gespräch?

Oberste-Lehn: Also, in der Regel ist mein Glaube kein Thema im Gespräch mit den Angehörigen, sie stehen ja mit ihren Wünschen und Bedürfnissen im Mittelpunkt unserer Arbeit. Trotzdem ist eine eigene und gefestigte Haltung im Bezug auf den Tod und was danach kommt, aus meiner Sicht unglaublich wichtig für diesen Beruf. Nur so können wir Trauernden eine Stütze sein. Wenn ich selber unsicher bin, wenn ich viele Fragen mit mir rumtragen, kann sich das eventuell auch auf mein Gegenüber übertragen.
Wir unterhalten und selten tief philosophisch und theologisch mit den Angehörigen, also wie sehen sie den Tod oder was empfinden oder spüren sie darüber hinaus. Aber wir bekommen schon manchmal mit, dass sie sagen: Ich weiß, dass dieser Mensch weiter für mich da ist, weil einfach so eine tiefe innere Verbundenheit da ist, die durch den Tod nicht gekappt worden ist.

Rittberger-Klas: In der Bibel gibt es viele Geschichten, verschiedene Worte und Bilder für das Ostergeschehen und für die Hoffnung auf ein Leben über den Tod hinaus. Welches ist Ihnen am nächsten, am liebsten?

Oberste-Lehn: Ich mag das Bild vom Weizenkorn, oder jedem Samen, der in die dunkle Erde muss, um doch schlussendlich Frucht und Leben zu bringen. Das passt für mich auch gut in diese Jahreszeit, in den Frühling, in der alles sprießt und blüht.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37436
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