SWR2 Zum Feiertag

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07APR2023
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Ich bin Martin Wolf von der Katholischen Kirche und ich spreche am heutigen Karfreitag mit dem ehemaligen Spitzenpolitiker Dr. Peter Tauber. Herr Tauber, sie haben eine steile politische Karriere gemacht. Sie wurden 2009 in den Deutschen Bundestag gewählt und waren gute vier Jahre später schon Generalsekretär der CDU. Alles lief damals scheinbar wie am Schnürchen. Doch dann, Ende 2017, wurden Sie plötzlich schwer krank, haben einen völligen Zusammenbruch erlebt, mussten um ihr Leben kämpfen. Macht eine solche Grenzerfahrung demütig?

Ich habe ganz oft in Diskussionen oder auch in mancher Rede, die ich gehalten habe, diesen Satz bemüht, dass ich die Demut für eine der schönsten christlichen Tugenden halte. In diesem Moment, wo ich gezwungen war, weil es mir so schlecht ging, den Notarzt zu rufen, nachts um drei, da war für mich das Schlimme in Anführungszeichen gar nicht, jetzt den Notarzt zu rufen, sondern im Kern war ich erschüttert, weil alles, was ich mir zurechtgelegt hatte, wie ich mich selber sah: Mitte 40, CDU- Generalsekretär. Ich laufe dreimal im Jahr Marathon. Diese Kritik in den Medien, das macht mir alles nichts aus. Dieses Selbstbild ist da auf einen Schlag zusammengebrochen, in Frage gestellt worden. Und das war für mich natürlich ein sehr demütiger Moment, weil ich mir eingestehen musste: Das stimmt nicht, ich bin so nicht, wie ich mich gesehen habe.

Was ja erstmal eine bittere Erkenntnis ist. Was haben Sie für sich daraus gelernt?

Ich glaube, wir haben ein Problem damit, dass wir, wenn wir permanent an unserem Leistungslimit sind, gar nicht mehr die Kraft haben für die Momente, auf die es wirklich ankommt. Also wenn wir permanent 150 % geben, wo soll dann die Energiereserve, wenn Sie so wollen, herkommen? Das hat ja auch was mit Demut zu tun, sich zu fragen: Was kann ich eigentlich?

Und dann werden wir trotzdem erleben, dass wir einer Sache nicht gerecht werden, dass wir, wenn sie so wollen, scheitern. Aber wenn man sich dann sagen kann: Ich habe es probiert, und es klappt dann nicht, dann kann ich auch in Demut sagen, dann hat es nicht sein sollen.

Sie haben die Zeit als Politiker in einem sehr persönlichen Buch beschrieben. Sie erzählen darin, wie Sie für die Politik brennen, aber auch von dem fast unmenschlichen Arbeitspensum, Ihrer Überforderung und schließlich der lebensbedrohenden Erkrankung. Warum?

Na ja, dieses Buch, was ich geschrieben habe, habe ich auch deswegen geschrieben, weil ich niemandem wünsche, dass er solche Brüche braucht. Also, ich glaube, es ist gut, wenn man nicht die Erfahrung von zwei Wochen Intensivstation mit Notoperation und all dem Drumherum machen muss im Leben. Ich hätte mir das selber auch gerne erspart. Aber wenn ich dann überlege, was kann ich daraus Gutes machen für mich und dann vielleicht für andere, dann ist es eben genau das: Sich zu fragen, wie gehe ich eigentlich mit mir selber um?

Sie deuten darin ja auch ein paar eigene Fehleinschätzungen an.

Ich habe sicher auch den Fehler gemacht, neben diesem falschen Selbstbild, dass ich mich dann auch an anderen gemessen habe, anstatt zu fragen, was ist eigentlich meine Grenze und auch meine Fähigkeit? Ich will das gar nicht nur einschränkend beschreiben. Ich kann unheimlich viel und auf die Stärken zu schauen und sagen, die nutze ich jetzt aber auch richtig. Und bei den Schwächen weiß ich, ich brauche Hilfe oder ich muss mich zurücknehmen.

Sie sind bekennender Christ und haben immer betont, dass Ihnen Ihr Glaube viel bedeutet. Wie war das in dieser Krise?

Ich habe, um mit Luther zu sprechen, einen recht kindlichen Glauben mir bewahrt. Das heißt, ich bin auch entsprechend erzogen worden. Ich habe auch nach der Konfirmation den Kontakt zu meiner Kirche nicht verloren. Ich war auch in meinem Leben immer im Glauben getragen, im Gebet, in meiner Gemeinde, mal intensiver und auch mal weniger, aber das war eine Konstante. Ich habe vorher aber, wenn ich gebetet habe, nie um was bitten müssen. Ich habe immer in dem Gefühl gelebt, ich habe alles. Und da war eben zum Ersten Mal die Situation, dass ich gesagt habe: okay, das kann ich nicht alleine. Also jetzt brauche ich jemanden. Und dann war auch die Frage: Ist ER jetzt da? Und ich hatte dann das Gefühl, dass ich getragen bin.

Es gibt eine eindrucksvolle Szene in Ihrem Buch, in dem Sie eine Nacht in der Klinik beschreiben, in der Ihr Leben quasi auf der Kippe stand.

Ich hatte in der Tat so einen Moment der totalen Schwäche. Ich habe gedacht, jetzt ist mein Energielevel null. Ich weiß nicht mehr, was gleich ist. Und dann habe ich schon über mein Leben nachgedacht und hab gedacht, ich habe so viel erlebt, es war so aufregend und toll und ich lebe ja gerne. Aber diesen Gedanken: „Aber dein Wille geschehe“, den hatte ich dann und habe auch ein bisschen Zwiesprache gehalten und habe gesagt: Jesus, okay jetzt, wenn du jetzt sagst, es war vorbei, ich bin nicht böse. Aber ich hatte da, wenn Sie so wollen, ein Stück weit meinen Frieden gemacht.

Sie sind zum Glück wieder gesundgeworden und haben das Amt des Generalsekretärs Anfang 2018 aufgegeben. Dann waren Sie für drei Jahre nochmal Parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium und sind 2021 schließlich aus der Berufspolitik ausgestiegen. Man könnte das, was Sie erlebt haben, in einer gewissen Analogie ja auch eine sehr persönliche Kar- und Ostergeschichte nennen. Was bedeutet Ihnen persönlich der Karfreitag?

Der Karfreitag ist natürlich dieser Moment des Stillstehens und sich auch des Bewusstmachens. Nicht nur, dass Jesus für uns gestorben ist, sondern dass wir selber im Leben herausgefordert sind und leiden können. Aber das Schöne ist ja, die Geschichte ist ja zu Ende erzählt. Wir wissen, was kommt.

Sie meinen das Osterfest, an dem wir Christen ja quasi den Sieg des Lebens feiern.

Das macht es natürlich viel leichter. Und insofern ist auch im Karfreitag, finde ich, schon ganz viel Hoffnung angelegt, auch durch das, was Jesus ja vorher erzählt. Man darf den Karfreitag ja auch nicht für sich nehmen, sondern wenn man ihn in die Gesamtgeschichte, wenn Sie so wollen, einbettet, dann ist er notwendig, um sich auch Dinge bewusst zu machen. Und deswegen ist das auch gut, dass das ein stiller Feiertag ist.

Was ja in Deutschland alle Jahre wieder für Diskussionen sorgt.

Ich habe da immer schöne Debatten mit jungen Leuten, die sagen: Ich darf da nicht tanzen gehen, und in den Club! Sag ich: Was vergibst du dir denn, wenn du mal einen Tag da nicht hingehen kannst? Und was sagt das eigentlich über dein Toleranzverständnis aus, wenn du merkst, dass es Menschen gibt, für die muss dieser Tag still sein? Und kann man das nicht respektieren? Ist das nicht auch eine Frage des Miteinanders?

Für mich haben diese Tage zwischen Gründonnerstag und dem Ostermorgen immer so eine etwas diffuse Grundstimmung. Wie erleben Sie diese Zeit?

Diese Zwischenzeit ist so eine Zeit des Ungefähren, wo man auch noch mal anfängt nachzudenken, zu überlegen und der Karfreitag ist eben mehr so ein Innehalten, so ein Stillstehen, so ein Momentum. Und das geht dann eben unmittelbar bis Ostern eben weiter und bricht auf. Und dann ist fröhliche Ostern.

Eine Zeit des Ungefähren, noch Offenen ist ein schönes Bild, finde ich. Passt dieses Bild auch zu dem Einschnitt, den Sie in ihrem Leben erfahren mussten?

Ich habe das auf jeden Fall als eine neue Möglichkeit empfunden, gemäß dieses Paulusworts aus dem Korintherbrief: „Ist jemand in Christus, dann ist er eine neue Kreatur“, dass ich nicht nur wie mit einer Art Schnitt im Leben: jetzt kann ich neu anfangen, sondern dass ich mir bewusst machen kann: ich kann es jeden Tag. Ich kann jeden Tag etwas anders machen oder versuchen, auch besser zu machen. Das ist schon mein Anspruch. Also ich kenne meine Schwächen und an manchen Stellen glaube ich, habe ich das erkannt, dass ich mit diesem Geschenk, dass ich eben noch hier sein darf, dass ich damit was machen soll.

Sie erzählen in einem zweiten Buch dann von Menschen, die ihnen Mut machen. Warum?

Ich habe ja zunächst meine eigene Geschichte erzählt, mit den ganzen Brüchen, der Erkrankung, dem Karriereende, wenn Sie so wollen, in der Politik. Aber es ist natürlich eine Geschichte, die auch zurückschaut sehr stark. Und es gibt ja diesen schönen Satz: Das Leben wird rückwärts verstanden, aber vorwärts gelebt.  Es geht ja weiter. Und das, was mich so berührt hat, waren eben so viele Menschen, die ich kennenlernen durfte als Politiker. Und das sind Menschen, die inspirieren. Die für sich oder für andere so viel tun. Mut machen. Sinn stiften. Etwas teilen. Ich finde, wir widmen den Wütenden zu viel Aufmerksamkeit und den Mutigen zu wenig.

Was macht Ihnen selbst denn Mut?

Begegnungen mit solchen Menschen. Weil ich mir denke, dafür lohnt es sich zu leben. Dass es solche Menschen gibt und ich die kennen darf.

Dann danke ich Ihnen für Ihre Zeit, Herr Tauber.

Sehr gerne.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37415
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