SWR4 Sonntagsgedanken

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26MRZ2023
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Heute, an diesem Sonntag, begeht die katholische Kirche in Deutschland den sogenannten Misereorsonntag. In allen Gottesdiensten wird dabei Geld für das kirchliche Hilfswerk Misereor gesammelt. Diese Aktion gibt es seit 65 Jahren. Mit den Spenden werden Projekte in Asien, Afrika, Ozeanien und Lateinamerika unterstützt, aber auch aktuelle Notsituationen bedacht wie im türkisch-syrischen Erdbebengebiet. Der Name dieses Hilfswerkes Misereor kommt von der lateinischen Übersetzung eines Jesuswortes. Er sieht die vielen notleidenden Menschen und sagt zu seinen Jüngerinnen und Jüngern: „Ich hab Erbarmen“ – auf lateinisch „Misereor“.

Jesus hatte ein Herz für Menschen, die in Not waren. Darum lädt dieser Sonntag ganz besonders ein, an andere zu denken, die auf irgendeine Weise Unterstützung brauchen können.

Mir persönlich ist eine gemeinsame Monatsaktion von Misereor und dem evangelischen Hilfswerk „Brot für die Welt“ wichtig. Jeden Monat stelle ich im Gottesdienst ein Projekt vor und wir sammeln dafür. Von zwei Beispielen möchte ich heute erzählen:

Da ist zum Beispiel Erlinda in Ecuador. Die Kleinbäuerin ist eine der Pionierinnen für ökologische Landwirtschaft. Auf ihrer Finca wachsen unzählige Obst- und Gemüsesorten, im Stall fiepen Meerschweinchen und Kaninchen, auf dem Hof laufen Hühner und Enten herum. Eine Stiftung für alternative Entwicklung hat Erlinda unterstützt; sie fördert vor allem Frauen und gibt ihnen das nötige Selbstbewusstsein.

Oder da sind behinderte Kinder in Kambodscha. Wird ein solches Kind geboren, sehen die Eltern das oft als schlechtes Vorzeichen. Sie verstecken lieber ihr Kind, statt dass sie es fördern. Misereor tritt mit der dortigen Partnerorganisation Karuna Battambang für die Rechte solcher Kinder ein. In fünf Betreuungszentren organisieren Teams häusliche Unterstützung für die Familien, bilden Selbsthilfegruppen und arbeiten mit den Behörden zusammen.

Manche Menschen misstrauen Hilfswerken und möchten lieber einzelne Menschen direkt unterstützen. Als ich in meiner ersten argentinischen Buschgemeinde Pfarrer wurde, haben mir hier gern Leute einen Geldschein mitgegeben und gesagt: „Gib das einer armen Familie!“ Zuerst hab ich das so gemacht, bis ich dann gemerkt habe: Geb ich einer Familie heute etwas, stehen morgen fünf vor meiner Tür und betteln. Ich musste einen anderen Weg suchen. Mit 20 Arbeitern, unterstützt vom Bischof und vom Schulministerium, haben wir eine weiterführende Landwirtschaftsschule gebaut. So konnte ich das Geld, das ich hier bekommen habe, sinnvoll einsetzen und alle Familien im Dorf hatten etwas davon. Geleitet hat mich dabei das Motto von Misereor: „Hilfe zur Selbsthilfe.“

Dieser Sonntag, zwei Wochen vor Ostern, hat noch einen anderen Aspekt. Heute beginnt die Passionszeit. Sie erinnert an den Leidensweg Jesu. Deswegen werden in den katholischen Kirchen ab heute die Kreuze mit violettem Tuch verhüllt und erst am Karfreitag zur Todesstunde Jesu wieder enthüllt. Jesus musste leiden wegen seiner bedingungslosen Liebe zu allen Menschen. Das störte die Frommen seiner Zeit. Sie wollten entscheiden, wer die Liebe Gottes verdient und wer nicht. Jesus dagegen hatte ein Herz für alle. Er lädt uns heute ein, ebenfalls ein Herz für alle zu haben, besonders für Notleidende.

Das ist nicht nur eine Aufgabe für kirchliche Hilfswerke wie Misereor. Wir alle können gegenseitig Leid lindern. Manchmal genügt es schon, wenn wir mit einem andern mitfühlen und seinen Schmerz mit aushalten. Ich denke da z.B. an einen Mann, dessen Frau ich vor kurzem beerdigt habe. Beim Trauergespräch hab ich gemerkt: Er möchte einfach von mir verstanden sein in seinem Leid, indem ich ihm aufmerksam zuhöre, nicht werte und ihn nicht zudecke mit frommen Sprüchen, sondern ihn bei mir ankommen lasse.

Er hat dann auch gemerkt: Das, was er mit seiner Frau erleben durfte, was ihn selber wachsen und reifen ließ, dafür kann er dankbar werden. Diese Dankbarkeit kann er nun für sein Leben fruchtbar machen: Er wird aufmerksamer für Menschen, die seine Nähe brauchen.

Die Passion Jesu lädt uns ein, empfindsamer zu werden für das Leid anderer. Wir sehen zum Beispiel die ungerechte Verteilung der Güter in unserer Welt: manche haben zu viel, viele haben viel zu wenig! Hier engagiert sich Misereor, und wir alle können mithelfen, durch unser „Miteinander teilen“ ein wenig mehr Gerechtigkeit zu schaffen. Jesus lädt uns aber auch ein, das persönliche Leid eines Mitmenschen zu sehen. Wenn wir ein Herz für ihn haben und es ihn spüren lassen, tut es ihm einfach gut.

Das sind nur kleine Schritte, aber sie sind wichtig, denn es sind Schritte der Hoffnung. Ich wünsche uns allen den nötigen Mut dazu.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37348
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