Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

21MRZ2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

“Maß halten!” Dazu ermahnte heute vor 61 Jahren Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard die Deutschen. Denn  das Bruttoeinkommen eines Arbeitnehmers hatte sich gegenüber dem Vorjahr um durchschnittlich 10,1 Prozent erhöht. Gleichzeitig aber war die Arbeitsproduktivität nur um rund fünf Prozent gestiegen. Da sah Erhard, der Ziehvater der sozialen Marktwirtschaft, die Gefahr: "Wir können nicht doppelt so viel verdienen, wie wir an Werten schaffen".  Was würde er heute wohl sagen? Bei den Summen, die unser Staat zur Verfügung stellt, um "Schieflagen" zu kompensieren, die Bundeswehr aufzurüsten, noch mehr Straßen zu bauen und neue Heizungen zu subventionieren. Und das alles mit Geld, das gar nicht existiert.  Mir wird da ehrlich gesagt manchmal ganz schwindelig. Und ratlos bin ich obendrein, denn ich weiß auch nicht, wie man es anders machen könnte.

Da habe ich in einer Wallfahrtskapelle in unserer Nähe so genannte “Kopfwehkronen” entdeckt. Die bestehen aus zwei Ringen und erzählen von einem ganz eigenartigen Brauch aus dem Mittelalter.  Man setzte einem Kranken diese Ringe auf den Kopf und hat ihn damit vermessen. Stimmten die Maße von der Stirn zum ersten Halswirbel und vom Kinn zum Scheitel nicht überein, so hieß das, dass man das „rechte Maß verloren“ hatte und es gab eine Erklärung für die Krankheit.

Das macht natürlich heute niemand mehr, aber das Wortspiel finde ich interessant. Die Klimaerwärmung zwingt die ganze Menschheit dazu, über das „rechte Maß“ nachzudenken, darüber, wie „maßlos“ gerade wir mit Rohstoffen umgehen und die Umwelt belasten. Die Folgen von Corona und der Ukrainekrieg zeigen schmerzhaft, was es bedeutet, wenn etwas total aus dem Lot gerät, wenn die Maße nicht mehr stimmen. Dann ist nicht nur ein einzelner Mensch krank, dann krankt das ganze Gesellschaftssystem.

Ich sitze in der Kapelle und weiß auch, dass ich mit diesen Gedanken nicht die Welt retten kann. Aber es hilft, wenn ich mir mal eine halbe Stunde Zeit nehme und manches einfach auch in Gottes Hand legen kann. Denn dann merke ich, dass ich allein nicht das Maß aller Dinge sein muss.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37328
weiterlesen...