SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

23MRZ2023
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Manfred weint manchmal einfach los. Und er schämt sich ein bisschen dafür. Er ist 72 Jahre alt und er war noch vor 10 Jahren Abteilungsleiter! Er war Vereinsvorstand und Schöffe – er ist doch sonst nicht so. Doch vor einem halben Jahr ist Manfreds Lebensgefährtin Maria gestorben. Fast 2 Jahrzehnte haben sie miteinander verbracht. Vor gut 15 Jahren ist er in Marias Haus eingezogen. Nein, geheiratet haben sie nicht mehr. Es war alles gut, wie es war.

Manfred erzählt mir das. Er versucht, gefasst zu sein, doch seine Tränen sind nicht nur Trauer, sie sind auch Wut. Marias Erben wollen ihn so schnell wie möglich aus dem Haus haben, um es zu verkaufen. - Dass alles im Haus für ihn einen Wert hat, Erinnerungen birgt, sich verbindet mit dem, was er und Maria hatten – sie wollen es nicht sehen. Er hat doch genug Geld, sagen sie. Er kann sich doch etwas suchen. Und das hat er auch längst gemacht. Barrierefrei und, sollte er es brauchen, auch mit Betreuung.

Aber jetzt geht er von Raum zu Raum und weint einfach immer wieder los. Er kann so wenig nur mitnehmen. Der hässliche, geschnitzte Elefant von der Asienrundreise war nie sein Ding, aber jetzt rührt er ihn zu Tränen. Die Bilder von der letzten Kreuzfahrt hat er eingepackt, die Haken dafür ragen noch aus der Wand.

Ihm fällt ein Spruch ein, den Maria in ihrer letzten Krankheitsphase oft gesagt hat. Es war ein Gebet, ein Psalm, hat sie gesagt: „Sammle meine Tränen in deinen Krug; ich bin sicher, du zählst sie alle“ (Psalm 56,9)!

Wir sprechen darüber, was dieser Satz für Maria bedeutet hat. Sie wusste, wie wertvoll Tränen sein können und sie hat dieselbe Wertschätzung dafür in der Bibel gefunden. Für keine einzige Träne muss man sich schämen. Im Gegenteil. Gott sammelt sie, weil sich in ihnen etwas von dem Glück widerspiegelt, das die beiden miteinander hatten – fast 20 Jahre lang!

Manfred hat sich übrigens einen Krug mit in seine neue Wohnung genommen, so ein großes, klobiges Ding, das Maria von einer Marokko-Reise mitgebracht hat. In diesen Krug hat er Erinnerungen gefüllt: Fotos, Steine aus dem Allgäu und Muscheln von Mallorca. Von Zeit zu Zeit wird er sie wieder herausfischen – und wahrscheinlich wieder weinen und er weiß, dass seine Tränen wertvoll sind, für ihn und für Gott. „Sammle meine Tränen in deinen Krug; ich bin sicher, du zählst sie alle!“

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