Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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24MRZ2023
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Eine Kirche im Odenwald hat einen echten Dachschaden. Von der Holzdecke können kleine Teile in den Kirchenraum fallen. Die Gemeinde weiß sich zu helfen: Sie spannt unter dem Dach eine große Stoffbahn wie ein Zelt über die Sitzbänke. So sind die Besucherinnen und Besucher geschützt und der Gottesdienst kann weiterhin im gewohnten Kirchenraum stattfinden.

Doch der Charakter der Kirche hat sich verändert. Gefühlt betrete ich nicht ein Haus aus Stein, festgefügt für die Ewigkeit, sondern ein luftiges Zelt, leicht aufzuschlagen und leicht abzubauen. Das erinnert mich an Stellen in der Bibel, in denen Gott in einem Zelt bei den Menschen wohnt. In einem Zelt begleitet Gott die Israeliten nach der Flucht aus Ägypten durch die Wüste. Und in einem Zelt will Gott mitten unter den Menschen wohnen, wenn er am Ende der Zeit alles zum Guten wendet, jede Träne abwischt und es keine Trauer und keinen Schmerz mehr gibt. Die Bibel sagt mit diesem Bild: Unser Gott ist ein beweglicher Gott, immer nahe bei den Menschen. Er residiert nicht in einem Palast und wartet, dass wir zu ihm kommen, sondern er zieht mit uns, teilt unsere Lebensumstände.

Wenn ich die riesigen Flüchtlingslager aus Zelten, Hütten und Baracken sehe, wird dieses Bild für mich aktuell. Auf die Frage „Wo ist Gott in all diesem Elend?“ kann ich antworten: Er ist mitten unter diesen Menschen. Er hat sein Zelt mitten unter ihnen aufgeschlagen. Vielleicht bei dem alten Mann, dem seine Herde verdurstet ist und der vor dem Hunger fliehen musste. Oder bei der Mutter mit den drei kleinen Kindern, deren Mann im Bürgerkrieg getötet wurde und die nur das Nötigste retten konnte. Gott ist beweglich, denn er will unter den Menschen sein, gerade unter denen, die arm sind, die leiden oder kein festes Dach über dem Kopf haben. Deshalb ist das Zelt sein Symbol, nicht der Palast.

Wenn ich wieder im Odenwald bin, will ich nachsehen, ob das Zelt noch steht. Das Dach ist sicher längst repariert, aber es würde mich freuen, wenn das Zelt noch da wäre. Als Zeichen der Gegenwart Gottes. Und wenn es weg ist – auch nicht schlimm. Dann hat Gott gewiss sein Zelt wo anders aufgeschlagen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37296
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