SWR3 Gedanken

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13MRZ2023
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Nach dem Erdbeben in der Türkei und in Syrien ist ein Bild um die Welt gegangen. Es ist mir ganz schön unter die Haut gegangen. Da sitzt ein Vater in Warnweste mitten in den Trümmern seines Hauses. Er hält die Hand seiner toten Tochter, die aus dem Schutt herausragt. Den Rest ihres Körpers hat das Erdbeben unter Betonplatten begraben. Man spürt genau: obwohl sich die Hand kalt und leblos anfühlt, möchte er sie einfach nicht loslassen. Er will unbedingt die Verbindung halten.

Kann das gehen – die Verbindung halten, obwohl jemand tot ist? Vieles geht nicht mehr: sich umarmen, miteinander lachen, telefonieren oder einen Gutenachtkuss geben. Aber die Verbindung muss trotzdem nicht abbrechen. An jemanden denken, sich erinnern, die gemeinsame Zeit lebendig halten – das alles geht. Und ich kann auch offen sein für Worte, Blicke oder Gesten, die die vermisste Person jetzt machen würde.

Ein guter Freund von mir ist vor 10 Jahren gestorben, und trotzdem lebt er in unserem Freundeskreis weiter. Oft sagen wir: „Wenn er jetzt da wäre, dann würde er seinen Spruch wieder bringen.“ Wenn mir was misslingt, dann höre ich förmlich sein etwas spöttisches Lachen mit einem lieb gemeinten Unterton. Und manchmal meine ich sogar einen Kommentar von ihm aus dem Off zu hören. Ich habe einfach das Gefühl, die Verbindung steht trotz allem.

Ich wünsche dem türkischen Vater, dass auch bei ihm die Verbindung zu seiner Tochter bestehen bleibt. Und nicht nur ihm wünsche ich das, sondern den tausenden von Angehörigen, die traurig und verzweifelt sind. Die tote Hand, die aus den Trümmern ragt, hat der Papa irgendwann loslassen müssen, aber die Verbindung kann trotzdem bleiben.

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