SWR1 Begegnungen

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05MRZ2023
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Tsitsi Dangarembga Copyright: Hannah Mentz

Christopher Hoffmann trifft: die Schriftstellerin Tsitsi Dangarembga

Tsitsi Dangarembga hat 2021 als erste Schwarze Frau den Friedenspreis des deutschen Buchhandels in der Frankfurter Paulskirche entgegengenommen. Im selben Jahr gewann die 64-Jährige aus Simbabwe gleich mehrere Preise des internationalen Autorenverbands PEN. Sie gilt als eine der wichtigsten Stimmen Afrikas. Und sie will vor allem Menschen aus ihrem Teil der Welt eine Stimme geben:                                                                         

Ich habe Psychologie studiert und da bin ich auf die Idee gekommen, dass auch Sprechen eine Handlung ist. Und wenn ich dann auf die Geschichte meines Landes und auch auf die Stellung der Frau zurückblicke, merke ich, wie sehr wir daran gehindert wurden, etwas zu sagen. Und so wurde mir klar, dass die Dinge beim Namen zu nennen eine wichtige Handlung ist – und etwas, das getan werden muss. Ich sehe das definitiv als meine Berufung an. 

Als ich ihr Erstlingswerk „Nervous conditions“* lese, das die BBC zu den 100 Büchern zählt, die die Welt verändert haben, spüre ich: hier nimmt mich die Autorin in starken Bildern und Zitaten mit in eine Perspektive, die meinen Horizont als weißer europäischer Mann, extrem weitet: Ich tauche ein in das Leben von Tambu, einem schwarzen Mädchen in Rhodesien, wie Simbabwe als britische Kolonie hieß. Und genau das beabsichtigt Tsitsi Dangarembga, indem sie die Geschichten der Unterdrückten dieser Welt erzählt:

Das ist wirklich meine Leidenschaft. Ich habe das Gefühl, dass wir einander durch die Geschichten, die wir uns erzählen, kennenlernen. Und so werden Beziehungen aufgebaut.

In ihrer Heimat Simbabwe demonstriert Tsitsi Dangarembga friedlich für die Freilassung eines befreundeten Journalisten und für Reformen und wird dafür absurderweise zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Woher nimmt sie die Kraft das auszuhalten? Der Glaube trägt sie. In einem Interview hat sie einmal gesagt: „Heute ist Gott für mich wie die Luft, die ich atme.**“ Was meint sie damit?

Es ist interessant, weil das Wort für Geist in meiner Sprache, die ich zuhause spreche, „Atem“ ist, was wiederum „Luft” sein kann. Ich glaube, das hat mich wachgerüttelt. Fische bewegen sich im Wasser. Also wenn ich ein Fisch wäre, würde ich wahrscheinlich sagen, Gott ist wie Wasser. Allgegenwart! Wohin du auch gehst, Gott ist da. Also Omnipräsenz im Sinne von: Nicht nur „sein“, sondern „mit dir sein“ – wo immer du auch bist.

Diese Erfahrung kenne ich– ein Gott, der mit mir geht durch Krisen. Auch Tsitsi Dangarembga fühlt sich von diesem Gott in Schwierigkeiten begleitet:

Im Grunde habe ich das Gefühl, mein spirituelles Leben ist etwas, ohne dass ich nicht auskommen kann. Und wenn ich mich nicht auf mein spirituelles Leben einlasse, fühle ich mich nicht vollständig.  Das ist so, als würde dir jemand die Luft zum Atmen rauben.

Ich spreche mit Tsitsi Dangarembga. Die vielfach preisgekrönte Schriftstellerin aus Simbabwe ist als Methodistin aufgewachsen, wurde dann an einer katholischen Nonnenschule ausgebildet und ist heute Mitglied der Lutherischen Kirche. Eine spannende ökumenische Biographie:

Mein Glaube an Gott ist etwas, das gewachsen ist. Das waren also drei verschiedene Abschnitte meines Lebens, drei verschiedene Kirchen und Konfessionen, und heute bin ich froh, dass ich aus allen von ihnen schöpfen kann. Und deswegen fühle ich mich gesegnet – besonders durch den vielfältigen christlichen Hintergrund, den ich habe.     

Und doch formuliert die gläubige Christin in jedem ihrer Bücher ganz klar, dass Kirche und Kolonialismus in der Vergangenheit eine unselige Verbindung eingegangen sind, weil die Europäer die afrikanische Kultur zerstören wollten:

Ich würde die Kirche nicht einmal von der westlichen Welt trennen, weil die Kirchen von dort aus nach Afrika kamen. Und am Anfang waren sie vollständig miteinander verflochten, ganz besonders diejenigen, die mit dem britischen Kolonialismus zu tun haben, bei dem der Monarch auch das Oberhaupt der Kirche ist.

Bei aller berechtigten Kritik: Tsitsi Dangarembga sieht einen historischen Lernprozess der Kirchen, zum Beispiel wenn sich aktuell prominente Stimmen der Katholischen Bischofskonferenz von Simbabwe für Menschenrechte in ihrer Heimat einsetzen:

Ich persönlich finde es gut, dass einige Institutionen, die am Anfang Teil der Unterdrückung waren, auch spirituell wachsen konnten, um zu verstehen, dass diese Phase wahrscheinlich nicht die glorreichste war und dass man die Art und Weise, wie man über manche Situationen denkt und sich verhält, ändern kann. 

Ändern muss sich auch das Verhältnis zwischen Europa und Afrika. Was ist Tsitsi Dangarembgas Perspektive auf die Gründe so vieler Menschen sich auf den gefährlichen Weg nach Europa aufzumachen? 

Als Angela Merkel nach Westafrika kam, als sie Kanzlerin war, das war der Moment, in dem ich mich in sie verliebt habe, weil sie sagte: „Was ich herausgefunden habe, ist, dass die Menschen lieber zu Hause bleiben”. Und ich fand das wirklich erstaunlich, denn es scheint mir, dass im Westen oft die Vorstellung herrscht, dass alle Angst haben, weil SIE herkommen wollen. Wir wollen eigentlich nicht kommen, wir wollen zu Hause sein können und ein Leben in Würde leben. Das ist es, was wir wollen.

Solange aber Menschen im derzeitigen globalen Handelssystem derart ausgebeutet werden und keine fairen Löhne erhalten, sind sie gezwungen sich auf die Flucht zu begeben-deshalb wirbt Tsitsi Dangarembga entschieden dafür, diese Ungerechtigkeit zu beenden:

Diese finanzielle Diskriminierung ist wirklich enorm, dass Menschen, die am vorteilhaften Ende dieser Beziehung stehen, es so halten wollen. Aber es trägt nicht zu der Art von Stabilität in der Welt bei, die wir brauchen.

Die „Financial Times“ hat Tsitsi Dangerembga vergangenes Jahr unter die 25 einflussreichsten Frauen der Welt gewählt – stimmt sie der Wahl eigentlich zu?

Nein, das tue ich nicht. Ich möchte die „Financial Times” nicht beleidigen, ich möchte nur sagen: ´Das war sehr großzügig von Ihnen.’ Ich würde gerne viel mehr Einfluss haben, als ich aktuell habe.

Einfluss, um die Welt gerechter zu machen und auf die Not vieler Menschen, insbesondere Schwarzer Frauen, aufmerksam zu machen, damit deren Stimmen gelesen und gehört werden.

 

* auf deutsch erschienen: Tsitsi Dangarembga: Aufbrechen. Roman. Aus dem Englischen von Ilija Trojanow, Orlanda Verlag, Berlin 2019.

**vgl.:  https://chrismon.evangelisch.de/artikel/2021/52180/die-friedenspreistraegerin-tsitsi-dangarembga

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37216
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