SWR1 3vor8

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19FEB2023
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Zwei krakelige Kreise, dazwischen ein paar wild-gekritzelte Striche und so etwas wie ein Strichmännchen mit weit-abgespreizten Fingern in alle Richtungen. Mein vierjähriges Patenkind hat mir zu meinem letzten Geburtstag ein Bild gezeichnet. Darauf: Ich und mein Fahrrad. Die Zeichnung hatte nicht viel mit mir – dem Original zu tun. Und trotzdem habe keine zwei Sekunden gebraucht, um zu erkennen, dass ich das bin auf dem Bild. Und ich habe mich gefreut! Mein kleiner Neffe kennt mich eben. Und hat mit seinen kritzeligen Strichen genau das gemalt, was für mich typisch ist. Er hat sich Zeit genommen und Mühe gegeben, um mir eine Freude zu machen. Er hat mich eben lieb.

Wenn ich in der Bibel den Brief von Paulus lese, den er an die Christen in Korinth schreibt, dann muss ich an das Geschenk von meinem Neffen denken. Paulus schreibt nämlich darüber, was die Liebe ausmacht - und dann ist das irgendwie ganz ähnlich. Da sehe ich die menschliche Liebe, die oft wie ein etwas unbeholfenes, krakeliges Abbild von der Liebe daher kommt, die Paulus  beschreibt: „Die Liebe ist langmütig und freundlich,“ schreibt er, „die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf, sie verhält sich nicht ungehörig, sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu, sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit; sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles.“

Was für ein Anspruch! Liebe in so einer Perfektion – da muss man doch dran verzweifeln. Die Liebe, die ich mitbekomme, ob zwischen Paaren, in der Familie und Freundschaften, in unseren Kirchengemeinden oder unserer Welt – diese Liebe kann so einem Anspruch nicht gerecht werden. Da bleibt die Liebe oft krakelig und krumm, und scheint mit dem Original nicht viel zu tun zu haben.

Wie gut, dass Paulus im Korintherbrief gar nicht fordert, dass wir perfekt lieben sollen. Seine Worte sind von dem innigen Wunsch durchdrungen, dass wir überhaupt lieben. Dass wir Zeit und Mühe in die Liebe investieren. Und auch wenn wir nur ein krakeliges Abbild vom Original hinbekommen. Aus seinen Worten klingt trotzdem die Hoffnung durch, dass das Original in unserem Lieben und Geliebt werden erkennbar wird. Vielleicht etwas krumm und schief – aber erkennbar. 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37156
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