SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

01FEB2023
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Ein Freund von mir hat vor kurzem eine Krebsdiagnose bekommen. Von einem Tag auf den andern ist seine Welt eine andere. Das eine ist die Krankheit selbst, das andere ist, wie man mit so etwas fertig wird, weiterlebt und den Alltag meistert. Mein Freund hat es am Anfang sehr gefasst aufgenommen. Fast cool, wie sachlich er seine Krankheit angegangen ist. Aber nach wenigen Tagen hat der Schock ihn eingeholt und es hat ihn auch gefühlsmäßig getroffen. Wir haben dann darüber gesprochen, wie man mit so einer Erkrankung weitermachen kann. Da stehen ja viele Untersuchungstermine an, die über die Therapie entscheiden und dann entsprechend weitere Termine, wenn man die Therapie macht. Dazu kommen Termine, an denen die Ärzte kontrollieren, wie die Krankheit sich entwickelt.

Ich kenne das aus eigener Erfahrung, wenn der Arzt einem eine Diagnose mitteilt, die das Leben auf den Kopf stellt. Schon Tage vor den Kontrollterminen und Untersuchungen tauchen Ängste und Fragen wieder aus dem Unterbewusstsein auf: Wie geht es weiter, wenn die Krankheit fortschreitet? Was kommt da alles noch auf mich zu? Ich habe in diesen Situationen oft gedacht, dass ich doch aufwachen muss aus diesem Albtraum. Aber das hilft ja nicht weiter.

Zum Glück findet aber zwischen den Kontrollen noch das ganz normale Leben statt. Und das ist ja das Gute. Es hilft, wenn ich die Realität meiner Erkrankung anerkenne. Und es hilft hoffentlich alles, was ich gegen meine Krankheit unternehme. Aber mir hilft auch, wenn ich dabei viel normalen Alltag erlebe und die Krankheit mal vergesse. Es ist ja schon schlimm, wenn der Krebs im Körper da ist, aber in meinen Gedanken muss er nicht auch noch wuchern.

Ich finde, dass es dann erlaubt ist, die Krankheit zu verdrängen. Vorausgesetzt, ich tue alles, was ich dagegen tun kann. Ein Satz, der mir dabei hilft, hat auch bei meinem Freund positiv eingeschlagen. Wenn ich also alles getan habe, was zu tun ist und was ich überhaupt tun kann, wenn die Termine stehen, aber heute noch nicht dran sind, dann sage ich mir: Heute sterbe ich nicht an Krebs. Heute lebe ich erst einmal.

So einfach dieser Satz ist, so wahr ist er auch. Und deshalb hilft er. Ich denke, das gilt in so vielen Situationen: Wenn ich für die Zukunft getan habe, was möglich ist, kann ich mich wieder auf die Gegenwart konzentrieren. Und mir sagen: Heute lebe ich.

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