SWR1 Begegnungen

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29JAN2023
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Stephanie Brall

Janine Knoop-Bauer trifft Stephanie Brall, Publizistin, Autorin, Fotografin und Direktorin des LÜCHTENHOF

Ihre Postkarten habe ich schon häufig verschickt oder verschenkt. Auf einer meiner liebsten ist zum Beispiel ein altes Radio zu sehen. Wellen:Reiten steht darunter. So macht die 42jährige Autorin und Fotografin das oft: sie verbindet ein Wort mit einem Bild und erzählt auf diese Weise eine ganze Geschichte. Ich habe sie gefragt woher ihre Liebe zu den Worten kommt.

Mein Vater hat jedes Jahr zum Geburtstag mir und auch meinen Geschwistern einen ausführlichen, liebevollen Brief geschrieben. Meine Mutter wiederum hat immer wieder kleine Zettel im Alltag hinterlassen mit besonderen Worten. Und dieses Schreiben, dieses Notieren habe ich sehr früh auch selbst begonnen und im Laufe des Lebens, in der Auseinandersetzung mit seiner Fragilität, mit seiner Verletzlichkeit bin ich darin dann immer mehr meiner ganz eigenen Geschichte auf die Spur gekommen.

Stephanie Brall ist in einem Pfarrhaus groß geworden. Die Bibel ist für sie ein Fundus voller zeitloser Geschichten, die helfen, das Leben zu lesen. Oder wie sie selbst sagt: voller Geschichten, von denen sie sich selbst lesen lässt.

Gleichnisse zum Beispiel, die vom Himmel auf Erden, manchen besser bekannt als das Gleichnis vom Senfkorn, das klitzeklein in die Erde fällt und dann zum großen Baum wird, mit Zweigen weit in alle Himmelsrichtungen, also in die Tiefe geht und in die Weite. Und dann ein Rastplatz wird für die Vögel, die zwischenlanden auf ihrem Weg durchs Leben. Was für ein Bild fürs Leben, das finde ich in der Natur. Das finde ich in diesen Erzählungen. Das ist so ein Wechselspiel. Und das sind dann auch wieder Geschichten, die das Leben schreibt. Also wo ich mich selber gelesen empfinde.

Ohne Geschichten, wie die Gleichnisse, die Jesus erzählt hat, gäbe es die christliche Religion gar nicht. Das Christentum ist eine Erzählgemeinschaft und Stephanie Brall führt dieses Erzählen fort. In Ihren Kalendern, Büchern und auf ihren Postkarten stoße ich auf Geschichten, die mich ins Nachdenken oder besser Nachspüren bringen. Wo nimmt sie die her?

Diese Geschichten, … die finden mich mitten im Alltag, also gerade da, wo trotz allem oder auch allem zum Trost, tapfer, leise, laut, zärtlich, mal in großem Überschwang, mal ganz einfach klitzeklein, sich Schönheit zeigt. Das berührt mich. Bono von U2 singt ja „Grace finds Beauty in everything“, und danach zu suchen, nach diesem liebevollen Blick … Nach Schönheit, nach diesem Funken; wo ich immer wieder erlebe, dass jede und jeder diesen Funken in sich trägt. Dieses Ewige, was ich … Gott nenne oder das ewige Gegenüber, das sich mir daran zeigt. Mal klitzeklein, in einem Baby in der Krippe und mal allumfassend, riesengroß im gesamten Kosmos. Also danach zu suchen, nach dieser Schönheit, nach diesem Funken jeden Tag neu und diese Suche zu teilen mit anderen, das heißt für mich Resonanzräume zu öffnen. (….) Das tue ich von Herzen gerne. Und da bietet das Leben, der Alltag, die allerbeste Vorlage.

Stephanie Brall ist Autorin und Fotografin und seit kurzem gemeinsam mit ihrem Mann auch Direktorin des LÜCHTENHOF, einem Bildungshaus des Bistums Hildesheim: ein über 700 Jahre alter klösterlicher Ort - zum Tagen und Nächtigen. Wo Menschen sich gemeinsam auf die Suche machen nach dem was sie bewegt und trägt im Leben. Die Sehnsucht nach solchen Orten wird immer größer, so scheint es mir. Stephanie Brall meint

Ich erlebe, dass es eine Sehnsucht nach Heiligem gibt und Heiligem im Sinne von Heilsein im Sinne von Ganzsein. Wir kennen im Englischen das Wort whole: ganz, und dann das Wort holy: heilig. In diesem Sinne, dass das Leben rund wird.

Rund wird das Leben für Stephanie Brall dort, wo Licht und Schatten geteilt werden dürfen, beides. Und wenn erfahrbar wird, wie Licht durch die Risse des Lebens scheint. Wenn man so gemeinsam unterwegs ist.

Ich bin … dankbar ….Teil dieser großen Familie zu sein, dieser großen Weggemeinschaft, dieser Erzählgemeinschaft und empfinde mich Seite an Seite unterwegs mit denen, die vor mir waren, mit denen, die jetzt da sind, durch dieses herzzerreißend schöne, manchmal schwere, manchmal leichte Leben zu gehen, das uns allen geschenkt ist und miteinander auszuprobieren, wie dieses Leben geht und wie sterben, wie lieben geht und wie sich lieben lassen geht und verzeihen, wie das geht. Gesellschaft zu gestalten, wie wandeln geht, fallen und wieder aufstehen und auch einkehren.

Leben lernen. Das geht gemeinsam besser. Stephanie Brall erlebt immer wieder: wenn man sich gemeinsam auf die Suche begibt, dann findet man nicht nur das, wonach man gesucht hat. Manchmal findet man ganz unerwartet viel mehr als das und wird selbst gefunden. Und – wie könnte es anders sein?  erzählt sie dazu eine Geschichte, die sie auf einem nächtlichen Spaziergang während eines Retreats im LÜCHTENHOF erlebt hat:   

Eine von uns hatte Geburtstag … und als wir ihr reihum unsere Wünsche aussprachen, gesellten sich plötzlich sieben Schwäne vom See her zu uns. Und ich weiß, vor einem Jahr waren fünf von ihnen noch nicht da. Ich erinnere mich noch an die schönen Eier in dem großen Nest im Frühjahr, und jetzt waren sie hier, mitten unter uns. Und miteinander, Menschen und Schwäne, bildeten wir buchstäblich eine Lichtung: die leuchtend weißen Schwäne und das Leuchten der Fackeln in unseren Gesichtern und dann die Worte und die Wünsche und die Lieder mitten in der Nacht. … und über uns der offene Nachthimmel, das eine Himmelszelt. Und da oben die Sterne. Und wie sich das Leben so fügt, das berührt mich immer wieder aufs Neue, wie wir uns auf den Weg machen können und dann Innehalten und erleben, wie aus Leerstellen Lichtungen werden. Aus Wunden Wunder. Und dass Schwäne zu Weggefährtinnen werden können, dass die Nacht leuchtet wie der Tag, immer wieder.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37011
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