SWR2 Wort zum Tag

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20JAN2023
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Ich möchte gelassener werden. Das nehme ich mir immer wieder vor, nicht nur am Beginn eines neuen Jahres. Es ist so ein Dauerbrenner wie: ich möchte mehr Sport treiben, mir mehr Zeit für Familie und Freunde nehmen oder mich gesünder ernähren. Vermutlich werde ich nie ein Meister in Gelassenheit werden, trotzdem glaube ich, es lohnt sich, mich immer wieder darin zu üben.

Aber wie geht das? Im Wort Gelassenheit steckt das Verb „lassen“. Um gelassen zu sein, muss ich Dinge sein lassen können. Und zwar im doppelten Sinne:

Zum einen muss ich akzeptieren, dass sie sind, wie sie sind – und nicht, wie ich sie mir vielleicht wünsche.

Zugleich muss ich manches auch einfach sein lassen, indem ich es aus der Hand gebe oder erst gar nicht zu meiner Sache mache. Ich muss mich davon frei machen, alles im Griff haben zu wollen und von dem falschen Gedanken lösen, dass ich alles im Griff haben könnte. Ich muss vertrauen, dass nicht alles an mir hängt.

Dadurch lasse ich mich auch in gewisser Weise selbst los. Ich hafte nicht mehr an Bildern und Vorstellungen, wie ich sein möchte, und ich nehme mich selbst nicht zu wichtig. Wenn mir das gelingt, dann werde ich dadurch freier.

Bedeutet gelassen sein dann, einfach nichts tun und die Dinge laufen lassen, wie sie sind? Ist Gelassenheit das Gleiche wie Gleichgültigkeit? Ich glaube nicht. Es geht eher darum eine andere Haltung zu den Dingen zu gewinnen.

Zum Beispiel, wenn in ein paar Tagen ein wichtiges Gespräch ansteht. Ich habe mir überlegt, was ich sagen und einbringen will. Aber trotzdem kreisen meine Gedanken ständig darum, obwohl ich jetzt in diesem Moment nichts mehr tun kann – nichts außer loslassen und dem Gespräch gelassen entgegensehen.

Ähnlich ist es mit einem Fehler, der mir passiert ist. Ich kann mir ständig wieder die Situation vor Augen führen und überlegen, was ich besser hätte machen können – oder ich kann es lassen und den Fehler eingestehen – mir und anderen gegenüber.

Erfunden hat das Wort Gelassenheit übrigens Meister Eckhart. Er war ein Dominikanermönch und Mystiker, der im Spätmittelalter gelebt und gelehrt hat. Immer wieder fordert er auf, Dinge zu lassen, um gelassener zu werden. Tröstlich finde ich, dass ihm klar war, dass man das ein Leben lang üben muss. So heißt es in einer seiner Predigten: „Du musst wissen, daß noch nie ein Mensch in diesem Leben so weitgehend gelassen hat, daß er nicht gefunden hätte, er müsse sich noch mehr lassen.“[1]

 

[1][1] Meister Eckhart, Werke, Bd. 2, Herausgegeben von Niklaus Largier, Frankfurt a. M. 1993, S. 343.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=36922
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