SWR4 Sonntagsgedanken

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01JAN2023
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Die BILD-Zeitung hat sich geradezu überschlagen, als 2005 der deutsche Kardinal Joseph Ratzinger zum Papst gewählt wurde. „Wir sind Papst“, so hat Deutschlands größtes Boulevardblatt damals in großen Lettern auf Seite eins gejubelt. Auf der Titelseite der Berliner taz dagegen prangte am selben Tag ein ganz anderer Satz: „Oh, mein Gott.“ Die beiden Titel machen für mich noch heute deutlich, in welchem Spannungsfeld sich das Pontifikat des deutschen Papstes Benedikt des XVI. bewegt hat. Joseph Ratzinger war ein brillanter Denker und großer Theologe. Die wissenschaftliche Theologie und auch die Katholische Kirche, die sich in den sechziger Jahren Jahren mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil neu auf die Welt hin ausrichten wollte, haben ihm einiges zu verdanken. Als späterer Präfekt der römischen Glaubenskongregation hingegen hat er versucht, die Kirche gegen den Zeitgeist, wie er das nannte, zu immunisieren. In Deutschland machte gar das Wort vom „Panzerkardinal“ die Runde. Viele, die sich sehnlichst eine weltoffene, den Alltagssorgen der Menschen zugewandte Kirche gewünscht haben, sind von ihm bitter enttäuscht worden. Auch ich. Für seine Zeit als Erzbischof von München und Freising hat ihm ein Gutachten vor einiger Zeit schließlich auch persönliches Fehlverhalten im Umgang mit Missbrauchstätern attestiert. Er selbst freilich hat das bis zum Ende nicht wahrhaben wollen. Dieser Schatten wird wohl auf seinem Pontifikat bleiben. 

Doch Joseph Ratzinger war bei aller theologischen Brillanz stets auch ein inniger Gottsucher. Als er einmal gefragt wurde, wie viele Wege zu Gott es gebe, soll er geantwortet haben: „So viele, wie es Menschen gibt.“ Ich bin überzeugt, dass er als gläubiger Mensch auf den barmherzigen und bedingungslos liebenden Gott vertraut hat und dass er diesem Gott nun begegnen darf. Aber nicht als Kirchenfürst oder Papst, sondern als suchender Mensch auf seinem eigenen Weg. Auf diesem Weg zu Gott ist er jetzt am Ziel angekommen.

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