SWR3 Gedanken

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28DEZ2022
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Neapel sehen und sterben! Die italienische Stadt am Meer hat schon immer die Menschen begeistert – Mafia hin oder her. Neapel regt die Fantasie an, verleitet zum Bummeln und weckt die Lebenslust. Sterben ist für später.

Besonders erlebenswert ist die Kultur des Caffè sospeso! Das bedeutet: ich bezahle zwei Kaffees, aber ich trinke nur einen. Und mit dem bezahlten Bon verhelfe ich einem anderen Gast ganz anonym zu einer Tasse Kaffee!

Etliche Cafés und Bars in Neapel ermöglichen diese Art der Solidarität. Denn eine Tasse Kaffee in einer Bar zu trinken ist in Italien eine Art dazu zu gehören. Und der Cafe sospeso sagt: Alle sollen diese Möglichkeit bekommen. Und zwar ohne sich deswegen zu erniedrigen. Deshalb sind die Bons der bezahlten, aber nicht getrunkenen Kaffees auch ganz einfach zu erhalten. Sogar ich als Touristin mit Reisekasse erhalte so einen Gratis-Bon! Einfach so. Als menschenfreundliche Geste.

Da stehe ich also mit der kleinen Tasse in der Hand. Zwischen all den anderen, die an diesem Morgen in dieser Bar kurz innehalten. Verschnaufen, schwätzen, Zeitung lesen, Mensch sind. Der Kaffee ist schwarz, heiß und süß. Perfekt!

Vor Gott und in Neapels Bars sind alle Menschen gleich, denke ich. Und bestelle gleich noch eine Tasse – als caffè sospeso. Neapel sehen und leben! Für alle!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=36860
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