Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen“. Dieser Satz hat mich schon immer geärgert. Der Alt-Bundeskanzler Schmidt soll ihn gesagt haben. Weil Visionen angeblich nur etwas sind für Träumer. Für Idealisten. Für Weltverbesserer ohne Bodenkontakt.
Dabei stand vor jeder großen Veränderung, die Menschen erreicht haben, eine Vision vom besseren Leben, von Gerechtigkeit, von der Gleichheit aller Menschen. Ohne eine Vision wären Schwarze in Amerika vielleicht immer noch Menschen zweiter Klasse. Und Indien wäre möglicher Weise noch eine englische Kolonie und Berlin geteilt durch eine Mauer.
Klar sind Visionen noch keine Realität. Aber sie zeigen ein Ziel und tragen deshalb in sich den entscheidenden Keim zur Veränderung.
Die konkrete Veränderung aber ist das Ergebnis vieler kleiner Schritte. Und diese kleinen Schritte sind dann nach meiner Meinung das Geschäft der Politiker. Auch viele Firmen machen sich ja die Kraft von Visionen zu Nutze für ihre Weiterentwicklung .Und auch die Kirche hat in den letzten Jahren gelernt, die großen biblischen Visionen ganz konkret für die Entwicklung der Gemeinden vor Ort zu nutzen.
Mit Visionen zu arbeiten ist nämlich ein urchristliches Arbeitsprinzip. Berühmt geworden ist zum Beispiel die große biblische Vision vom Frieden der Völker. Der Prophet Micha hat diese Vision sehr eindrücklich ausgemalt ( Mi 4, 1-4). Seine Vision war: Es wird der Tag kommen, da werden die Völker keine Waffen mehr brauchen. Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen umschmieden und ihre Spieße zu Sicheln. Statt Waffen – Pflüge und Sicheln. Statt Krieg führen– pflügen und ernten. Und dann wird „jeder unter seinem Weinstock und seinem Feigenbaum wohnen und niemand wird ihn schrecken“. Das war übrigens die biblische Vision der christlichen Friedensbewegung, die letztendlich dann ganz konkret zum Fall der Berliner Mauer geführt hat.
Visionen weiten den eigenen beschränkten Blick und lassen am Horizont eine Möglichkeit erscheinen, die heute vielleicht noch vollkommen undenkbar ist. Aber Visionen müssen geerdet werden, sonst bleiben sie reine Luftschlösser. Und dazu braucht man Geduld und Fleiß und viel Energie.
An Pfingsten gibt Gott den Menschen seinen Geist. In der Bibel steht: Dieser Heilige Geist, das ist die Kraft zur großen Vision und die Energie sie dann auch umzusetzen. Nicht als Programm, nicht im Prinzip - sondern Schritt für Schritt für ganz konkrete Menschen an ganz konkreten Orten.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=3677
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