Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Wenn Gott ein Mann ist, dann ist er auch eine Frau. Wenn wir von Gott wie von einem Menschen reden, dann muss auch beides vorkommen, was uns Menschen ausmacht, weibliches und männliches.
Dass unsere Vorfahren das auch so sahen, das entdeckte ich auf einer Urlaubsreise in einer kleinen Kirche am Chiemsee.800 Jahre alt ist die St. Jakobskirche in Urschalling. Sie ist berühmt für ihre ungewöhnliche Darstellung des Heiligen Geistes.
Im Jahr 1923 hatte eine Frau den morschen Putz in der Kirche abgekratzt und darunter alte Fresken entdeckt. Als diese Malereien freigelegt wurden, kam ein erstaunliches Bild zum Vorschein. Die göttliche Dreieinigkeit – dargestellt als 2 Männer und eine Frau.
Gott Vater also, Jesu, der Sohn und in der Mitte deutlich zu erkennen - eine Frauengestalt. Die drei Personen bilden eine Einheit. Sie hüllen sich in einen Mantel. Ihre drei Heiligenscheine überschneiden sich. So hatte man im Mittelalter oft die Dreieinigkeit Gottes dargestellt. Ungewöhnlich aber ist, dass der Heilige Geist in dieser Darstellung kein Er ist, sondern eine Sie, eine Heilige GeistIN. Ihre weiblichen Gesichtszüge und die Art ihres Kleides lassen da gar keinen Zweifel zu.
Der Heilige Geist als weibliche Seite Gottes. So steht es schon in der hebräischen Bibel, im Alten Testament. Ruach heißt das hebräische Wort für Geist. Und ruach ist in im Hebräischen weiblich. Die Heilige Geistin steht da. Sie ist der göttliche Schöpfungsatem Gottes, dem alles Leben entspringt, schon ganz am Anfang in der Schöpfungserzählung. Und dann weht diese Heilige Geisteskraft in der Bibel immer dann, wenn es um Leben, um Über-leben und Wieder-beleben geht. Man kann also mit Fug und Recht sagen: Gott hat männliche und weibliche Züge.
Aber die Christentumsgeschichte hat sich schwer getan mit dieser weiblichen Seite Gottes. Die griechische Sprache hat ihr einen neutralen Mantel umgelegt. Das Pneuma, das Geistige, sagten die Griechen. Und die Römer verwandelten die Geistin schließlich in den Geist- den Sanctus Spiritus. Seit damals also muss die heilige Geistin Männerkleider tragen, Anzug und Hut sozusagen.
Da ist es nur gut, dass die Frau damals 1923 am alten Putz der Kirche gekratzt hat und das vergessene Fresko von der Heiligen Geistin wieder ans Licht kam. Eine Erinnerung an die weiblichen Züge Gottes.
Und mir scheint: Ab uns zu ist es also ganz gut, wenn jemand am Putz unserer Vorstellungen von Gott kratzt. Damit wir nicht zu eng und zu starr werden. Und offen bleiben für neue Entdeckungen.
Und falls Sie in der nächsten Zeit einen Ausflug vorhaben - die kleine Kirche St.Jakob liegt in Urschalling, einem Weiler bei Prien am Chiemsee.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=3674
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