Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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07DEZ2022
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„Und vergessen Sie das Atmen nicht!“ Daran hat uns die Sprechtrainerin immer wieder erinnert, während sie uns zu Körper-Übungen angeleitet hat. „Und vergessen Sie das Atmen nicht!“

Geht das denn, das Atmen vergessen? Klar, es kann schon mal vorkommen, dass man vor lauter Konzentration auf andere Dinge die Luft anhält. Oder nur ganz oberflächlich atmet, mit angezogener Handbremse, sozusagen.

Aber wirklich das Atmen vergessen...? Das geht nicht. Ob man nun will oder nicht, man kann es nicht lassen. Ich kann das Atmen nicht mal eben abstellen oder auf später verschieben; gut, vielleicht für einen Moment, aber dann muss ich auch schon wieder tüchtig durchatmen, ich habe gar keine Wahl. Denn Atmen und Leben, das gehört zusammen. Ohne unseren Atem können wir nicht sein.

Und von daher sagt man auch, wenn jemand stirbt: Sie hat ihr Leben ausge-haucht. Oder: Er hat sein Leben ausgehaucht. Weil der letzte Atemzug das Ende des Lebens anzeigt. Genau so, wie der erste Atemzug den Beginn des Erden-lebens markiert und der erste Schrei aus voller Lunge.

Überhaupt hat alles Leben mit dem Atem angefangen, so erzählt es jedenfalls die Bibel: Danach hat Gott seiner Schöpfung den Atem eingehaucht.

In der hebräischen Bibel heißt dieser Atem „Ruach“. Und weil es so lebens-wichtig ist, kommt das Wort Ruach auch an die vierhundert Mal in der Bibel vor. Es steht für Atem, aber auch für Lebensenergie, für Kraft, für den Geist Gottes und den Wind. Für die Menschen im Orient ist Atem und Wind das gleiche Wort. Der Atem ist der kleine Wind. Und wenn der frische Wind aus dem Norden in die Täler bläst, so richtig stark, dann sagen sie sogar: die Erde atmet.

Genau genommen bin ich also mit der ganzen Schöpfung verbunden, wenn ich atme; mit der Erde und allen Kreaturen - und dem Schöpfer selbst. Sein Lebenshauch geht gewissermaßen durch mich hindurch.

Wenn man in diesem Bewusstsein ein und ausatmet, nennen es die einen Meditation. Für mich ist es auch Gebet. Ich fülle meine Lunge mit Luft und Dankbarkeit. Und gebe sie wieder frei. Und: Nein, ich vergesse das Atmen nicht...

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