Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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03DEZ2022
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Ich grüße gern. Wenn ich auf der Straße jemanden treffe, egal ob ich ihn kenne oder nicht. Es fällt mir nicht schwer, ein freundliches Gesicht zu machen. Fast nie. Mit einer Ausnahme: Wenn der andere ein furchtbar grimmiges Gesicht macht, oder mit anderen Worten, wenn er oder sie ganz unfreundlich schaut. Dann sträubt sich etwas in mir und ich denke mir: „Wenn die so unfreundlich schaut, dann hat sie auch keinen Gruß verdient.“ Ich weiß, dass man sich einen Gruß nicht verdienen muss - so wenig wie manch anderes im Leben, was kein Geld kostet. Trotzdem ist diese Abwehrhaltung tief in mir verwurzelt. Und wenn ich mich dann doch überwinde und so einen Misanthropen grüße, und sein Gesicht bleibt versteinert oder er erwidert meinen Gruß erst gar nicht, dann fühle ich mich in meiner Haltung bestätigt. Nie wieder! Und weiß doch im nächsten Augenblick: Genau das ist falsch. Und gleich aus mehreren Gründen.

Zunächst einmal weiß ich ja gar nicht, ob der andere einen triftigen Grund hat, so missmutig zu sein. Womöglich hat er eine schlimme Nachricht bekommen, über die er noch grübelt und aus eigener Kraft gar nicht hinweg kommt. So einem täte ein freundlicher Gruß von mir besonders gut, wäre ein kleiner Lichtblick in dem Grau seines Tags.

Dann zweitens habe ich keinerlei Anlass den Gesichtsausdruck eines anderen, der mir unterwegs begegnet, auf mich zu beziehen. Nicht alles hat etwas mit mir zu tun. Ich bin weder für alles verantwortlich noch zuständig.

Womit ich bei meinem dritten Punkt wäre. Was andere tun, wie sie durch die Welt laufen, das ist erst mal deren Sache. Aber ich muss doch für mich klarhaben, wie ich sein will. Ich sollte mir nicht von anderen indirekt aufzwingen lassen, wie ich mich verhalte, sondern meine Linie haben und die so konsequent wie möglich verfolgen. Wenn es mir also wichtig ist, ein freundlicher Zeitgenosse zu sein, dann sollte ich das immer zeigen. Ganz egal, wie andere dreinschauen und ob sie grüßen oder nicht. Ich bin freundlich, weil ich es will. Wenn es dann einem anderen auch noch gut tut: um so besser.

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