Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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28NOV2022
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Einen großen, großen Berg. Den spüre ich manchmal morgens, wenn ich noch im Bett liege, und daran denke, was den Tag über auf mich wartet. Einen großen Berg, der mich bedrückt. Ich male mir aus, was von mir erwartet wird, was ich alles in den paar Stunden erledigen soll, die so ein Tag eben hat. Ich grüble darüber, was nicht vorherzusehen ist, ob ich das wohl bewältigen werde. Dass auch Erfreuliches dabei sein könnte, kommt mir meistens gar nicht in den Sinn. Das wird von der befürchteten Last des Tages schlicht erdrückt. Ich weiß das, und es ärgert mich, aber ich schaffe es ganz selten, daran etwas zu ändern. Und das beklemmende Gefühl bleibt.

Es wird deshalb Zeit, etwas Neues zu probieren. Etwas, das mich aus meinem gewohnten Trott herausreißt. Für etwas Neues, für Veränderung ist der Advent genau die richtige Zeit. Es sind dreieinhalb Wochen bis Weihnachten, eine überschaubare Zeitspanne. Und ich fasse dafür den folgenden Plan. Immer am Abend, bevor ich ins Bett gehe, nehme ich mir ein paar Minuten Zeit. Ich setze mich in Ruhe hin und überlege mir etwas, das ich am kommenden Tag tun will. Nicht tun muss, also nicht, weil es erwartet wird und sowieso schon im Kalender steht, sondern etwas, von dem ich mir vorstelle, das es mir guttut. Ich reserviere eine Stunde, in der ich unangekündigt jemanden besuche, von dem ich weiß, dass er sich darüber freut. Ich setze mich auf eine Bank und schaue den Menschen zu, wie sie vorbeilaufen und freue mich, wie viele unterschiedliche Frauen und Männer und Kinder das sind. Ich gehe in meine Leseecke und träume vor mich hin – bloß ein paar Minuten lang. Für jeden Tag irgendetwas Schönes, Gutes, Erfreuliches. Das schreibe ich auf einen Zettel, und den lege ich auf mein Nachtkästchen, damit ich ihn am anderen Morgen nach dem Aufwachen parat habe. Sofort, buchstäblich im selben Augenblick, wo ich sonst beginne, den Tag durchzugehen und sich das flaue Gefühl in der Magengegend breit macht. Dann nehme ich den Zettel in die Hand und stelle mir vor, wie ich meinem kleinen Plan in die Tat umsetze. Heute habe ich vor, einer Freundin ein Adventswichtel zu bringen. Ich muss mir noch überlegen, was ich schenke, muss es besorgen und dann übergeben. Nur eine Kleinigkeit; aber gerade die machen ja oft das Leben schön und die Sorgen kleiner.

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