SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

25NOV2022
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Ich sitze mit einem Freund zusammen und erzähle, was in den letzten Tagen los war. Einiges ist nicht so gelaufen, wie ich es gerne hätte. Der Freund fragt mich dann aber nicht weiter nach dem, was schwierig war, sondern was gut war.

Wir sprechen anschließend über das Nachtgebet, über die Worte, die ich spreche, bevor ich mich schlafen lege. Für mich ist dieses Gebet oft eine gute Gelegenheit, um kurz auf den vergangenen Tag zurückblicken. 

Oft schwirrt mir am Abend noch so Vieles im Kopf herum. Die Menschen, die mir begegnet sind. Die Wege und Orte, an denen ich war. Manches, was ich gehört und gesehen haben. Auch, wo ich mich sehr gefreut oder sehr geärgert habe.

Vor allem Letzteres: Wenn ich mich über jemanden geärgert habe, ist mir das oft noch sehr präsent. Vor allem, wenn ich an diesem Tag mit jemandem eine Meinungsverschiedenheit oder sogar einen Streit hatte.

Dann habe ich das Problem, dass genau diese Situationen mich noch lange begleiten. Egal, ob ich das will oder nicht.

Und das ist dann an so manchen Abenden beim Nachtgebet mein Problem. Vieles, was sonst an diesem Tag geschehen ist, rückt in den Hintergrund und was mich geärgert hat, steht an erster Stelle und beschäftigt mich weiter.

Ein Satz ist mir aus dem Gespräch mit diesem Freund besonders im Gedächtnis geblieben:

„Stell Dir vor, Dir ist heute etwas Gutes widerfahren und Du hast es gar nicht gemerkt.“

Er hat mir damit auch gesagt:

Warum lässt du es zu, dass dein Ärger den restlichen Tag überdeckt? An jedem Tag ist auch irgendwas Gutes geschehen.

Und er hat Recht. Ich hatte völlig vergessen, dass zwischendurch ein alter Freund angerufen hatte, von dem ich schon ewig nichts mehr gehört hatte. Und dass, als ich ins Büro unterwegs war, seit Tagen mal wieder die Sonne geschienen hat. Und dann gab es natürlich auch noch dieses freundschaftliche Gespräch, das einfach gut tat.

Diese Momente sind nicht weniger wichtig als mein Ärger, aber manchmal ist dieser leider stärker.

Deswegen versuche ich seither, so gut es geht, jeden Abend auf den Tag zurückzublicken und bewusst die großen und kleinen Dinge in den Blick zu nehmen, für die ich „Danke“ sagen möchte. Damit ich das Gute, das mir jeden Tag geschieht, auch bemerke.

Auch wenn es manchmal erst im Nachhinein ist.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=36586
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