SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

01DEZ2022
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„Ich kann nicht mehr an Gott glauben. Aber ich kann doch auch sonst nichts,“  hat Elisabeth zu mir gesagt. Sie ist eine alte Freundin und Kollegin und sie hat mir erzählt, wie sie vor einigen Jahren eine triefe Krise erlebt und durchgestanden hat. Und wie sie darin eine Zeitlang sogar ihren Glauben verloren hat.

Mit Gebeten hat sie versucht, eine schwere Erkrankung zu ertragen und zu überstehen. Als dann auch noch zudem ihre eigene Mutter an Krebs erkrankt ist, hat sie in ihrer Verzweiflung versucht, mit Gott  zu feilschen: Wenn ich schon krank bin, dann lass wenigstens meine Mutter wieder gesund werden.

Ihre Gebete wurden nicht erhört. Ihre Mutter ist gestorben. Und sie selbst hat viele Monate mit ihrer eigenen Erkrankung Schlimmes durchgemacht. Am Ende musste sie sich eingestehen: Ich kann nicht mehr an Gott glauben. Und auch sonst kann ich nichts mehr.

Meine kranke Freundin hat den Glauben der anderen wahrgenommen wie ein Kleid, das ihr selbst nicht mehr passt. Sie hat die Gebete der anderen mitgesprochen, auch wenn sie sie für sich selbst nicht hätte unterschreiben können.  

Meine Freundin ist inzwischen wieder gesund. Sie hat ihre Krankheit überwunden. Und sie hat ihren Glauben wieder. Es ist allerdings ein anderer Glaube als vorher. Sie sagt: Mein Glaube ist kein naiver Kinderglaube mehr. Er ist erwachsen geworden. Es ist ein Glaube, der weiß, dass er neu gefunden werden musste. Ein Glaube, der sich auch speist aus dem, was andere glauben. Stellvertretend auch eine Zeitlang für sie mit. Und es ist ein Glaube, der weiß, dass wir von Gott getragen sind, auch dann, wenn wir selbst alles unerträglich finden.

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