SWR4 Abendgedanken

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28NOV2022
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„Wenn wir sagen, dass unsere Gebete zum himmlischen Thron aufsteigen, dann bedeutet das, dass sie dort aufgenommen werden wie Kinder, die von einer langen Reise zurückgekehrt sind.“ Das hat der Schriftsteller und Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel einmal über die Psalmen gesagt.  Was für ein schöner Gedanke: Meine Gebete kommen zu Gott, wie Kinder nach einer Reise zu ihren  Eltern; ich kann mir das gut vorstellen und ausmalen. Ich habe zwei erwachsene Kinder, die beruflich oft unterwegs sind auf langen Strecken. Und wenn sie dann zurückkommen, dann setzen wir uns zusammen, und ich frage: Hast du Hunger? Wie geht es dir? Magst du erzählen von deiner Reise?

Und so, sagt Elie Wiesel, ist das mit unseren Psalm-Gebeten, wenn sie im Himmel ankommen.

Die Psalmen, das sind Gebete, die Menschen vor langer Zeit formuliert haben. Sie stehen in der Bibel und werden seit mehr als 3000 Jahren schon gebetet. Ich stelle mir vor, dass sie im Himmel gut bekannt und immer willkommen sind. Und gleichzeitig sind sie immer auch ganz neu.  Die alten Worte werden zu Worten eines Menschen von heute, wenn er sie nachspricht oder singt.

Zur Adventszeit gehört auch so ein altes Gebet, der Psalm 24 : „Macht die Tore weit und die Tür in der Welt hoch, dass der König der Ehre einziehe.“ Wie ein Kind, das von einer langen Reise zurückkehrt, kommt dieses Psalmgebet im Himmel an und trägt mit sich die Lebenserfahrungen unserer Zeit: Dass so viele Tore geschlossen sind in diesen krisenhaften Monaten, so viele Probleme ungeklärt, dass so viele Herren bestimmen wollen. Dagegen singen und beten wir das alte Lied von den Toren, die sich öffnen für Gott, dem Herrn der Schöpfung.

Und ich mag mir vorstellen, wie unser Psalmgebet willkommen ist im Himmel und wie da einer ist, der sagt: Komm her und ruh dich aus und erzähle mir von den Sorgen, die du auf der Erde und in deinem Leben hast. 

Dass Gott hört, was ich ihm zu erzählen habe, daran glaube ich ganz fest. Und das macht es mir leichter, diese krisenhafte Zeit zu ertragen.

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