SWR2 Lied zum Sonntag

SWR2 Lied zum Sonntag

13NOV2022
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Als Kind hatte ich oft Heimweh. Ich erinnere mich an eine Freizeit in den Weihnachtsferien. Ich war gerade mal acht Jahre alt und kurz zuvor noch krank gewesen – und auf einmal fand ich mich mit einer aufgedrehten Kinderschar in einer Skihütte mitten in den Bergen wieder. Nachts sollte ich im riesigen Matratzenlager schlafen und tagsüber auf Skiern stehen. Das war zu viel für mich. Abends habe ich weinend zuhause angerufen: Könnt ihr mich abholen? Bitte! Ich bin damals geblieben, und das war vermutlich gut so. Aber die Erinnerung an das herzzerreißende Gefühl ist geblieben: Ich will nach Hause! Holt mich doch bitte!
Daran muss ich denken, wenn ich den Gospelsong höre von einem Wagen, der kommt, um mich nach Hause zu holen: Swing low, sweet chariot.

Joan Baez

Die Sehnsucht, nach Hause zu kommen – mir kommt sie in diesem Lied ganz nah. Gerade weil es in den Zeilen noch um mehr geht als um das Heimweh nach dem eigenen Zuhause und den vertrauten Menschen dort.
Die Sklaven auf den Plantagen der Südstaaten Nordamerikas, wo das Lied vor 150 Jahren entstanden ist, haben damit auch ihre Sehnsucht nach einer himmlischen Heimat besungen. Nach einem Ort, an dem aller Schmerz und alle Ungerechtigkeit ein Ende haben:

Louis Armstrong

Wenn doch nur, wie es vom Propheten Elia in der Bibel erzählt wird, so ein Wagen vom Himmel käme. Der sehnsüchtige Blick geht über den Jordan, über die Grenze von Leben und Tod. Was da sein wird, ist noch nicht zu sehen – so singt Louis Armstrong in seiner Variante, die wir gleich hören. Aber klar ist: Es kommen Engel als Begleitung – nach Hause.

Louis Armstrong

Dieses feste Vertrauen, dass es einen guten Ort gibt, ein Zuhause, das immer da ist, egal was kommt – das beeindruckt mich. Wer so eine unerschütterliche Zuversicht im Herzen hat, der kann nicht nur dem Tod furchtlos entgegen gehen, sondern hat auch im Leben einen Halt, wenn es schwer wird.

Ich selbst kann das für mich nicht immer so gewiss sagen. Trotzdem singe ich den Gospelsong gerne mit – besonders die Strophe, in der es heißt: I'm sometimes up and sometimes down, but still my soul feels heavenly bound.

Kenny Ball and the Jazzmen

Ich verstehe das so: Auch wenn es mir nicht gut geht, auch wenn ich Zweifel habe: Meine Seele hat eine Heimat im Himmel. Und immer wieder ist ein Vorschein davon auch hier zu spüren.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=36519
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