SWR2 Wort zum Tag

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10NOV2022
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Ob es uns passt oder nicht, immer mehr Menschen aus ärmeren Ländern drängen zu uns, in das privilegierte Europa. Manche sprechen schon von Völkerwanderung wie damals am Ende des römischen Reiches: ein Kampf ums Überleben, um neue Beheimatung. Damals drängten z.B.  germanische Stämme ins Zentrum des Wohlstands Richtung Rom, so wie heute Menschenströme aus Afghanistan oder Nigeria Richtung Berlin oder Paris.

Eine starke Führungsfigur in der Migrationskrise damals war ein römischer Papst aus der Toskana. Dieser Leo I. trägt mit Recht den Beinamen der Große. Er wird heute im kirchlichen Heiligenkalender erinnert. Immerhin konnte er erreichen, dass Italien nicht von den Hunnen und ihrem König Attila besetzt und Rom von den Vandalen nicht geplündert wurde. Aber ich denke jetzt nicht zuerst an Leos Erfolge im politischen Bereich, an seine Initiativen im Sozialen. Leo I. war auch ein großer Theologe – und da gibt es ein goldenes Wort von ihm, das mich schon lange begleitet und begeistert:

„Gott, der Unbegreifliche, wollte sich begreiflich machen.“ Das ist ein Spitzensatz christlichen Glaubens. Dass Gott unbegreiflich ist, wissen wir alle. Aber was wäre das für ein Rätselgott, wenn er unbegreiflich bliebe? Ich bleibe erst mal bei mir: wie oft begreife ich mich selbst nicht, und sogar geliebte Mitmenschen können einem unverständlich sein. Erst wenn ich mich öffne und dem Gegenüber begreiflich machen will, beginnt Beziehung. Dann kommt hoffentlich die Lust ins Spiel, sich dem anderen mitzuteilen, die Freude an Gespräch und Austausch. Ich will mich dir begreiflich machen, und du bitte mir. Das hat mit Liebe zu tun, jedenfalls mit Interesse, mit Zuneigung wortwörtlich. Ich brauche dich nicht, aber ich will im Austausch sein mit dir. Ich bin so frei, und du bitte auch.

Das meinte Papst Leo, wenn er sagte: „Gott, der Unbegreifliche, wollte sich begreiflich machen.“ Vor allem in Jesus zeigt er, wer er wirklich ist. Er braucht uns nicht, sonst wäre er nicht Gott. Aber er will im Austausch sein mit uns, ja er will unserer bedürfen. Er glaubt an uns, er hofft auf uns, er liebt uns, er oder sie, das unfassbare Geheimnis der Liebe. Also Achtung mit dem üblichen Satz: wer Gott ist, weiß doch so wie so keiner genau. Doch, antwortet Leo der Große mit Recht: er will und wollte sich begreiflich machen. Er will uns als Mitliebende. Was wäre begreiflicher?

https://www.kirche-im-swr.de/?m=36501
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