Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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29OKT2022
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Seit über einem halben Jahr läuten bei uns im Dorf am Freitagabend die Glocken, immer um sechs Uhr. Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine trifft sich dann eine kleine Gruppe in der Kirche, um für den Frieden zu beten. Jede Woche. Sie beten, wenn neue schreckliche Angriffe oder neue Drohungen aus dem Kreml die Welt in Atem halten. Und sie haben auch weitergebetet, als der Krieg zwischenzeitlich fast aus den Nachrichten verschwunden war, weil sich andere Neuigkeiten in den Vordergrund geschoben hatten.

Ich habe großen Respekt vor ihrer Beharrlichkeit. Es sind nur wenige Menschen, die sich in der kleinen Kirche versammeln. Aber mit den Glocken und Gebeten holen sie den Krieg hinein ins Leben bei uns: das Leiden der Ukrainer, aber auch der Russen, die verletzt werden, die fliehen müssen, die ihr Hab und Gut verlieren, die sterben. Und sie bitten um Frieden. Nicht nur in der Ukraine, sondern überall auf der Welt. Immer und immer wieder.

Ob das einen Unterschied macht? Ich glaube, ja. Natürlich braucht auch kluge politische Entscheidungen. Es braucht Hilfstransporte ins Kriegsgebiet und Menschen, die dafür spenden. Es braucht Vermieter, die Wohnraum zur Verfügung stellen, und Ehrenamtliche, die Geflüchteten Mut machen, sie zu Ämtern begleiten oder bei der Jobsuche helfen. Aber ich glaube: Es braucht auch die Gebete.

Immer wieder höre ich von Leuten, die Kontakte zu Gemeinden in der Ukraine haben, dass es für die Menschen dort etwas verändert. Dass es für sie einen großen Unterschied macht, ob in unserer Dorfkirche und anderswo für sie die Glocken läuten. Es ist wichtig für uns zu wissen, dass ihr für uns betet, sagen sie. Das gibt uns Kraft.

Und ich spüre: Es gibt auch denen Kraft, die beten. Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, beharrlich im Gebet (Römer 12,12) – das hat der Apostel Paulus vor 2000 Jahren an die Gemeinde in Rom geschrieben. Und ich habe den Eindruck: Alles drei gehört zusammen. Menschen, die beharrlich beten, geben dadurch die Hoffnung nicht auf. Und sie bleiben mit ihren Sorgen nicht allein. Sie teilen sie mit Gott und miteinander. Und können so oft besser damit umgehen.

Deshalb bin ich froh, dass es so viele Menschen gibt, die beharrlich für den Frieden beten. In der Kirche oder zuhause, mit anderen oder im Herzen. Weil beten Hoffnung gibt. Und Geduld, wenn es schwierig wird.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=36476
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