SWR1 Begegnungen

SWR1 Begegnungen

30OKT2022
AnhörenDownload
DruckenAutor*in
Dr. Dagmar Kreitzscheck.

Wolf-Dieter Steinmann trifft Dr. Dagmar Kreitzscheck.
Sie ist erfahrene Seelsorgerin, ua. 10 Jahre in der Klinik . Jetzt leitet sie „Haus Respiratio“ und begleitet Menschen, die von der Kirche enttäuscht sind, beim „Aufatmen“.

Es ist verzwickt. Einerseits weiß ich: es tut
richtig gut, wenn ich jemandem vertrauen kann. Und trotzdem bin ich
fähig, das Vertrauen von anderen zu enttäuschen. Dagmar Kreitzscheck meint nüchtern: So sind wir Menschen. Als Seelsorgerin kennt sie beides. Vertrauen und was enttäuschtes Vertrauen auslöst.

Wut und Trauer. Ne Mischung. In der Regel haben wir uns selbst getäuscht d.h. wir haben Erwartungen in etwas oder irgendjemanden gesteckt, die enttäuscht wurden.

Was kann ich tun, wenn ich Vertrauen enttäuscht habe? Um Verzeihung
bitten; ausdrücken, dass man sich schämt? Sie findet ganz entscheidend, wer wird gesehen?

Dann ist der Betreffende wieder bei sich, der sollte mal lieber bei der anderen Person sein. Hinsehen finde ich viel wichtiger. Den Schmerz anschauen, die Person in ihrer Verletzung und ihrer Trauer und ihrer Wut anschauen. Nicht wegreden, sondern erst mal zu dem stehen.

Und diejenigen, deren Vertrauen verletzt worden ist? Was bleibt denen? Dagmar Kreitzscheck findet ganz wichtig: Nicht passiv einigeln, sondern nüchtern, erwachsen sein.

Sie können auch die Kränkungen in der Petrischale züchten, dann werden sie immer größer: Allein mit dem Satz: ‚das verzeih ich Dir nie“.
Also da gehört auch ein Eigenanteil dazu, mit dem anderen wieder in eine gute Beziehung kommen zu wollen.

Die Person, deren Vertrauen enttäuscht worden ist, sie gibt vor, wie ein Ausgleich aussehen kann. Aber Achtung vor: „Wie Du mir, so ich Dir.“

Man kann natürlich sagen: ‚hast Du mich betrogen, betrüg ich Dich auch.‘ Aber die Paarregel sagt: exakter Ausgleich trennt eher. Ich tu Dir was Gutes dafür, der sollte ein bisschen ein vermehrter sein, und der Ausgleich im Schlechten ein verminderter.

Vertrauen zwischen Menschen muss nicht wieder wachsen, aber es kann. Dagmar Kreitzscheck war lange Klinikseelsorgerin. Und hat da erlebt, mit dem Vertrauen von Menschen zu Gott ist es ganz ähnlich. Krisen können es beschädigen, müssen aber nicht.

Dann haben die gesagt: ‚Ich habe in meinem Leben so viel Gutes gekriegt, ich kann jetzt auch mal was Schlechtes nehmen.“ Die sind überhaupt nicht aus so nem Grundvertrauen rausgefallen, auch nicht Gott gegenüber. Und es gab welche, die haben gesagt: ‚Jetzt hat mir Gott noch eins draufgesetzt, ich verbanne den aus meinem Leben.‘

Was mir sehr einleuchtet: Auch Gottvertrauen heilt nicht durch große
Erklärungen: Besser ist, da sein, wenn jemand im „Dunkel“ ist, miteinander klagen und vielleicht segnen.

Nach dem Segen fragen die Leute und wenn ich das angeboten habe, wollten die das auch gerne. Darin steckt ja soviel wie ein Ansehen Gottes. Ich glaube, gesegnet zu sein, gesegnet zu werden, bringt unter Umständen die Beziehung wieder in Ordnung.
Die Bibel ist voll von dem Satz: ‚Der HERR hat mein Elend angesehen.‘ Da steht noch nichts von ‚gewendet‘. Das kommt oft viel später. ‚Angesehen‘, das ist wirklich total wichtig.

Angesehen-Sein. Ein Bedürfnis von Kind auf. Aber Dagmar Kreitzschek meint, es sollte auch „erwachsen“ werden.

Wenn unser Vertrauen erschüttert worden ist - ob zu Menschen oder zu Gott - dann wollen wir „gesehen“ werden. Dagmar Kreitzscheck ist erfahrene Seelsorgerin. Aktuell begleitet sie viele Mitarbeitende in Kirchen, die enttäuscht sind, sich nicht gesehen fühlen, von oben. Diesem Bedürfnis will sie auf die Spur kommen.

Wer soll Dich denn wertschätzen? Soll Gott das tun, soll
der Bischof das tun? Das kommt, weil wir auch alle Kinder waren und immer denken und hoffen, die Wertschätzung kommt von oben. Und wir arbeiten dann sehr intensiv daran, dass sie Wertschätzung für sich selbst finden.

Die eigenen Kräfte wieder aktiv machen. Für sie gehört dazu auch, Menschen und Institutionen nüchtern zu sehen. Klare Strukturen und Recht, das kann man in Kirchen erwarten. Und dass Unrecht rechtlich geahndet wird.

Aber die Sehnsucht, dass „von oben“ stetig Wertschätzung fließt, die findet sie nicht nüchtern. Und manches Bild von Kirche kann erwachsener werden.

‚Vatergott‘, das ist ja biblisch, ob ‚Mutterkirche‘ biblisch ist, det weeß ich nich. Also mir liegt zB. diese Idee von dem „wandernden Gottesvolk“ viel mehr. Die ganze Welt wandert, die Leute ziehen ununterbrochen um, Flüchtlingsströme sind in alle Richtungen unterwegs. Also ich frage mich, ob wir nicht so was eher sind: ‚Menschen, denen der Glaube wichtig ist, die auf Wanderschaft sind.‘

Drei Dinge kommen mir bei diesem Bild in den Sinn:
zum einen: Kirche ist da nicht mehr so sesshaft. Was für eine Rolle spielen dann Gebäude? Zum anderen wird sie bestimmt diverser. Das dritte: Wer ist Gott, wenn man so unterwegs ist?

Die Richtung, der Kompass. Sicher auch die Hoffnung, die man nicht aufgibt. Denn das Bild von diesem ‚Wandernden‘ das impliziert, dass das Leben unsicher ist. Also spätestens bei dieser Weltsituation ist das doch klar, dass das so ist.

Dagmar Kreitzscheck hat Vertrauen - in aller Nüchternheit - zu vielen Menschen in der Kirche. Und sie traut unserer Kirche zu, dass in ihr wichtige Dinge hochgehalten werden und beim Unterwegssein lebendig bleiben.

Dass Leben zweckfrei sein sollte, und gefeiert gehört, aber nicht die Menschen verzweckt.

Ich finde es sehr charmant, dass die Kirche so unsichtbare Dinge wie Glaube, Liebe Hoffnung hoch hält.
Die Kirche ist immer noch so was wie ne Hüterin der Geheimnisse
Gottes und des Lebens, das find ich gut.
Und ich würde mir wünschen, dass sie mit der Endlichkeit aller Dinge liebevoll und zuversichtlich umgeht.

Sie hat keine Angst, dass so eine Kirche, verschwinden könnte. Dass Kirche in 20 Jahren anders aussieht, davon geht sie aus. Aber das kann auch gut werden. Dagmar Kreitzscheck hat jedenfalls Hoffnung; für das Ganze und für mich und Sie.

Ich halte es mit dem alten Oscar Wilde: „Am Ende wird alles gut, und wenn es nicht gut ist, ist es nicht das Ende.“

https://www.kirche-im-swr.de/?m=36420
weiterlesen...