Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

27OKT2022
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Als ich das erste Mal in die kleine Kapelle geschaut habe, war ich kurz irritiert. Das sollte der Andachtsraum sein? Ich hatte eher den Eindruck, in einer Strandbar gelandet zu sein. Der Boden ist mit feinem, weißem Sand bedeckt, dazwischen locker verteilt ein paar Stühle und Grünpflanzen. Auf den zweiten Blick habe ich dann den kleinen Tisch entdeckt, der als Altar dient, eine Bibel, ein Kreuz. Beim Rausgehen habe ich mich noch einmal umgedreht – und habe die Spuren gesehen, die ich im Sand hinterlassen hatte.

Später habe ich erfahren, dass genau das der Sinn des Sandfußbodens ist: Wer immer die Kapelle betritt, hinterlässt darauf Spuren. Das soll die Besucherinnen und Besucher daran erinnern: Niemand kommt und geht spurlos. Nicht hier – aber auch sonst im Leben.

Mir gefällt die Idee der Sandkapelle. Weil ich merke: Oft denke ich gar nicht daran, dass ich Spuren hinterlasse. Dabei tue ich das ständig – wie alle andere auch. Wie ich mich verhalte, wo ich hingehe und was ich tue verändert etwas im Leben von anderen Menschen. Und in der Welt um mich herum. Sogar dann, wenn ich es gar nicht merke. Wenn ich auf dem Fahrrad zu spät dran bin und genervt Fußgänger anklingele. Aber auch, wenn ich aus dem Bus aussteige und dem Busfahrer freundlich zunicke und danke sage. Wenn ich achtlos etwas wegwerfe – und jemand anders muss den Müll dann wegräumen.

Niemand kommt und geht spurlos. Wer in den Südseestaat Palau einreist, bekommt dort seit einigen Jahren einen Stempel in dem Pass. Dort steht das „Versprechen von Palau“. Der Passinhaber muss es unterschreiben. Da heißt es:

Als euer Gast gebe ich euch das Versprechen,

eure einzigartigen und wunderschönen Heimatinseln zu bewahren und zu schützen.

Ich gelobe,

behutsam aufzutreten, freundlich zu handeln und achtsam zu entdecken.

Ich werde nichts nehmen, was mir nicht gegeben wird.

Ich werde nichts verletzen, das mich nicht verletzt.

Die einzigen Fußabdrücke, die ich hinterlasse,

werden die sein, die das Meer wegspült.

Ich finde, die Fußspuren auf dem Boden der Sandkapelle sind eine wichtige Botschaft. Sie zeigen, dass ich Verantwortung habe. Und dass es einen Unterscheid macht, was ich tue und wie ich mich entscheide. Weil ich Spuren der Zerstörung hinterlassen kann – und gute Spuren.

Und: Die Spuren im Sand erinnern daran, dass jeder einzelne Mensch wichtig ist. Weil jedes Leben Spuren hinterlässt – auch wenn es ganz unspektakulär und durchschnittlich ist. Ja, ich bin überzeugt: Niemand kommt und geht spurlos.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=36415
weiterlesen...