Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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22OKT2022
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Ich bin in ein Fettnäpfchen getreten. Gegenüber meinem Kollegen habe ich flapsig behauptet, der Schwabe ist geizig und teilt ungern. Dagegen hat er sich sofort gewehrt und ich habe dann auch schnell zugegeben, es sind ja nicht alle Schwaben gleich.

Ich bin im schwäbischen Ländle geboren, aber meine Eltern stammen nicht von dort und deswegen sind mir dann in der Kindheit Dinge aufgefallen, die ich als schwäbische Eigenheiten abgetan habe. Meine Eltern haben mir etwas anderes vorgelebt.

Bei mir zu Hause ist es beispielsweise üblich, dass sobald ein Gast im Haus ist, auch Essen und Trinken hermuss. Der Gast soll sich ja wohlfühlen. Das galt für alle die kamen, auch für meine Schulfreunde. Die ersten Fragen sind bei uns immer: „Was willst du trinken? Kann ich dir was anbieten?“ Und dann gibt’s was zu knabbern und zu trinken. Selbst wenn jemand Samstagmittag mitten beim Putzen vorbeischaut. Dann freuen wir uns, lassen alles stehen und liegen und kümmern uns um den Gast. Bei uns heißt es „Gast im Haus, Gott zu Haus!“.

Bei Schulfreunden habe ich das so nicht unbedingt erlebt. Manchmal musste ich erst fragen, ob ich ein Wasser haben könnte. Und das ist mir auch ziemlich unangenehm gewesen beziehungsweise ich hab mich als Kind manchmal gar nicht getraut zu fragen.

Deswegen habe ich zum Kollegen gesagt: Schwaben sind geizig und teilen nicht gern.

Und dann hat er mir vom „schwäbischen Versucherle“ erzählt, dass es bei ihm zu Hause gibt. Es ist nämlich so: Es kann schonmal vorkommen, dass man beim Nachbarn klingelt und „Hier! Nimm mal, ein Versucherle“ sagt und ihm dann zum Beispiel einen Kuchen anbietet. Einfach ein Stück von dem, was man gerade selbst in der Küche fabriziert hat. Und da geht’s dann nicht darum, dass man eine Rückmeldung möchte „Hmm, schmeckt lecker“ sondern, dass man einfach gibt, was man hat. Weil es schön ist zu teilen.

Manchmal ist es auch Marmelade, die weitergereicht wird oder Konzertkarten! Wenn man von einem tollen Konzert erfährt, dann kauft man einfach gleich ein paar Karten mehr und verteilt sie dann. Es wird einfach für andere mitgedacht und mitgesorgt. Das Schöne daran sei, meint er, an anderer Stelle käme es auch wieder zurück. Es ist ein Geben und Nehmen. „Und ein „Versucherle“ allemal“, sag ich ihm, „denn man weiß ja nie, was einen erwartet. Aber es ist ein Versuch wert, es auszuprobieren!“

Ich finde, dieses schwäbische Versucherle hat sehr viel gemein mit einer christlichen Fürsorge gegenüber dem Nächsten. Ich denke einfach für den Nächsten mit, ganz uneigennützig gebe ich etwas oder teile, was ich habe.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=36388
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