SWR2 Wort zum Tag

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22OKT2022
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In diesen Tagen jährt sich zum dreißigsten Mal der Todestag von Petra Kelly und Gert Bastian. Ich erinnere mich an den Schock, der damals durchs Land ging, als am 19. Oktober 1992 die Leichen dieses Promipaars der bundesrepublikanischen Politszene in ihrem Bonner Reihenhaus entdeckt wurden. Petra Kelly hatte sich in der Anti-Atomkraftbewegung und als Friedensaktivistin einen Namen gemacht. Gert Bastian hatte als ehemaliger Nato-General der Bundeswehr effektvoll den Rücken gekehrt und war seither im selben politischen Umfeld zuhause. Er war auch verheiratet und Vater von zwei Kindern, hatte sich aber nie scheiden lassen. Die Polizei hat dann ihre Ermittlungen aufgenommen. Als wahrscheinlicher Tathergang wurde rekonstruiert, dass Gert Bastian seine Lebenspartnerin im Schlaf erschossen und sich dann selbst getötet hatte. Viele Fragen blieben offen. Sind es immer noch.

Ich habe die Todesanzeige aus der Zeitung ausgeschnitten, die Charlotte Bastian damals für ihren Ehemann aufgegeben hat. Sie beeindruckt mich immer noch. Denn darüber steht ein Zitat von Conrad Ferdinand Meyer: „Ich bin kein ausgeklügelt‘ Buch. Ich bin ein Mensch in seinem Widerspruch.“ Das konnte man als Ausdruck der allgemein vorherrschenden Ratlosigkeit verstehen. Vielleicht aber auch als Bitte, von vorschnellen Verurteilungen abzusehen und alles Rätseln und Richten Gott zu überlassen. Jedenfalls war es der starke Appell einer Frau, die um die Widersprüche des Lebens wusste. Die sich weiß Gott wie damit arrangiert haben muss, dass ihr Mann mit einer 25 Jahre jüngeren Frau zusammengelebt hat, und die sich trotzdem getraut hat, ihn in Schutz zu nehmen, als alle Welt in ihm nur noch einen waffenvernarrten Mörder sah. Ein Plädoyer für Menschlichkeit im Angesicht eines schuldig gewordenen Menschen.

„Ein Mensch in seinem Widerspruch“, hat Conrad Ferdinand Meyer das genannt. Biblische Anthropologie würde hier wohl von einem Sünder sprechen. Und diesen Menschen gerade als Sünder ernstnehmen. Denn hinter der Rede von Sünde steckt das Wissen, dass Menschen nicht in jedem Augenblick vernünftig, sinnvoll und anständig handeln und dass sich manche menschlichen Handlungen schlicht nicht nachvollziehen lassen. Aber keine einzelne Tat beraubt einen Menschen seiner Menschlichkeit vor Gott. Deshalb ist das auch heute ein starker, Nachdenkens werter Satz:

Ich bin kein ausgeklügelt‘ Buch. Ich bin ein Mensch in seinem Widerspruch.

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