SWR2 Wort zum Tag

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21OKT2022
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In meinem Bibelregal steht ein Schuber mit fünf Bibelbilderbüchern. Die Rücken sind ausgeblichen, aber man kann die ursprünglich leuchtend gelbe Farbe noch gut erkennen. Mein ältester Sohn hat sie von seinen Paten zur Taufe geschenkt bekommen. Das ist jetzt 25 Jahre her. Der Schöpfer dieser Bilder ist der Niederländer Kees de Kort. In mehr als 65 Ländern sind seine Bibelbilderbücher heute verbreitet. Auch damals haben sie schon zu den Klassikern unter den Kinderbibeln gehört. Unzählige Male habe ich sie herausgezogen, um sie meinen Kindern vorzulesen und vor allem, um die Bilder mit ihnen anzuschauen.

Am Anfang von Kees de Korts Schaffens stand ein Wettbewerb. Die niederländische Bibelgesellschaft wollte in den 60er Jahren eine Bibel in einfacher Sprache herausbringen. Auch geistig behinderte Kinder und Jugendliche sollten die Bilder und Texte verstehen können. Da galt es, eine einfache und zugleich eindringliche Bildsprache zu finden. Kees de Kort hat nur ein einziges Bild eingereicht: Josef und Maria auf dem Weg nach Bethlehem. Damit hat er die Experten-Kommission überzeugt. Und nicht nur die. Die Kees-de-Kort-Bibel ist geradezu ikonisch für viele Menschen auf der ganzen Welt geworden. Die biblischen Personen in ihren bunten Gewändern, die meist ohne perspektivische Tiefe flächig in einer Ebene abgebildet sind. Keine komplizierten Anordnungen.  

Dafür liegt oft alles in einem Blick, in einer Geste. Mein Lieblingsbild von Kees de Kort ist der blinde Bartimäus, der am Stadttor von Jericho sitzt und mit hochrotem Kopf nach Jesus schreit. Über seinen Augen hängt eine Binde. Als Jesus kommt, fragt er den Blinden, was er von ihm will. Bartimäus antwortet: „Dass ich wieder sehen kann!“ Und auf dem nun folgenden Bild hat Kees de Kort alles in diesen Blick hineingemalt, den ersten Blick eines sehend gewordenen Menschen auf die Welt, die ihn umgibt. 

Im August dieses Jahres ist der berühmte Maler gestorben. Und da stelle ich mir folgende kleine Szene vor: Kees de Kort erscheint an der Himmelspforte. Und Jesus fragt ihn: „Was willst du, dass ich für dich tun soll?“ Und dann wünsche ich ihm, dass Jesus ihm diesen Bartimäus-Blick verleiht. Dass ihm die Augen aufgehen und er all das sehen kann, was er zu Lebzeiten geglaubt und in unsterbliche Bilder gelegt hat.

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