Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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15OKT2022
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Bei dieser Geschichte bekomme ich noch heute Gänsehaut: Der deutsch-französische Kabarettist Alfons mit seinem Markenzeichen, der orangen Trainingsjacke, erzählte einmal von seiner Großmutter, die er außerordentlich geschätzt hat. Als deren alter Schwiegervater von den Nazis ins Konzentrationslager abgeholt wurde, ist sie einfach mitgegangen. Er sollte dort nicht auf sich allein gestellt sein. Während der Schwiegervater aber unter den Qualen im KZ umgekommen ist, hat Alfons‘ Großmutter das Grauen des KZs überlebt.

Nach dem Krieg hat sie die Deutschen gehasst. Als später ein Deutscher mit ihr Kontakt aufnehmen wollte, hat sie das zunächst abgelehnt. Aber dann hat sie überlegt: Will ich weiter hassen, mein ganzes Leben lang hassen? Und sie hat sich entschieden: Ich will keinen Deutschen hassen, ich will überhaupt keinen Menschen hassen. Daraufhin hat sie sich mit dem Deutschen getroffen, der selbst KZ-Aufseher war. Ihrem Enkel Alfons hat sie erklärt. Jeder hat eine Taschenlampe. Und worauf wir den Lichtschein richten entscheidet jeder selbst. Ich habe mich entschieden den Lichtschein nicht auf das Hässliche eines Nazis zu richten, sondern auf einen Menschen. Unter diesen Umständen eine solche Haltung einzunehmen, das ist bewundernswert .

Wenn Jesus sagt: Liebet eure Feinde halten das viele für eine unrealistische Überforderung. Vielleicht weil wir Liebe nur mit Romantik und Sentimentalität verbinden. Aber auf Hass zu verzichten und den Menschen mit seinen guten Möglichkeiten zu sehen ist schon sehr viel.

Alfons Großmutter hatte sich entschieden, den Hass, der ihr und ihrer Familie widerfahren ist, nicht zurück zu geben und so selbst vom Hass gefangen zu bleiben. Sie hat es geschafft, die Hassspirale zu durchbrechen, in dem sie dem anderen eine Chance gab, sich anders zu zeigen. Sie hat es geschafft die andere, menschliche Seite ihres Peinigers zu beleuchten.

Alfons konnte als Kind nicht verstehen, wieso seine Großmutter die Deutschen nicht hasste.

Aber durch ihre Erklärung mit der Taschenlampe und weil sie sich geweigert hat, zu hassen, hat sie ihm eine Botschaft übermittelt, die ihn zeitlebens begleitet und weiter ihre Kreise zieht.

Auch mich bewegt diese Geschichte und sie hilft mir dabei Jesu Botschaft von der Feindesliebe auch so zu verstehen: Schau, ob du deine Taschenlampe nicht auf eine andere Seite deines Feindes ausrichten kannst. Vielleicht hilft dir das, um nicht im Hass stecken zu bleiben, sondern frei zu werden.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=36336
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