SWR2 Wort zum Tag

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11OKT2022
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Winnetou und Pipi Langstrumpf, Helden meiner Kindheit. Und jetzt sollen diese Bücher und Filme auf einmal moralisch nicht mehr gut sein? Die Wellen der Empörung schlagen hoch und wir sind dabei, als Gesellschaft kaum mehr einen Konsens zu finden. Viele Menschen empören sich lieber, als einander zuzuhören und zu verstehen, was eigentlich dahintersteckt, wenn etwas als nicht „politisch korrekt“ bezeichnet wird. Die Debatte um Winnetou und kulturelle Aneignung eignet sich jedenfalls hervorragend, uns weiter zu spalten und ein Blick in die USA genügt, um zu sehen, wie diese Spaltung immer mehr das tägliche Zusammenleben vergiften kann.

Für Anfang November haben die ARD-Anstalten eine Themenwoche geplant, die überschrieben ist mit „WIR GESUCHT - Was hält uns zusammen?“ Ich finde diesen Titel sehr passend, denn als Christ eifere ich Jesus von Nazareth nach, der mit seinem Leben und seiner Lehre deutlich gemacht hat, dass es nicht vornehmlich um das „ICH“ gehen kann, sondern um das „DU“ – von dort ist es dann ein kurzer Weg zum „WIR“.

Wenn ich vom „ICH“ zum „DU“ komme, bemühe ich mich, erstmal zuzuhören, statt verbal auf mein Gegenüber einzudreschen. Ich versuche zu verstehen, warum Menschen – vor allem junge Menschen – darauf hinweisen, was Rassismus ist und wo wir Menschen anderer Herkunft benachteiligen. Und wenn ich verstehe, dann kann ich auch hören, was daran ein Problem sein kann, dass wir in Europa seit Jahrhunderten auf andere Kulturen herabschauen, Menschen wegen ihrer Herkunft diskriminieren und benachteiligen, aber ihre kulturellen Symbole und Bräuche gedankenlos benutzen.

Und auch den jungen Menschen sollten wir zuhören, die für eine bessere Welt brennen und kämpfen und dadurch provozieren. Gegen Unterdrückung zu kämpfen erfordert Mut und macht verständlicherweise oft wütend. Aber wer die Welt positiv verändern will, muss auch die Frage beantworten, wie wir möglichst viele Mitmenschen auf diesem Weg zu einem besseren morgen mitnehmen können. Auch das gehört dazu, vom „ICH“ zum „DU“ zu kommen.

Ein entscheidender Unterschied ist dabei, ob ich klarmache, was falsches Handeln ist, oder ob ich den dabei handelnden Menschen generell als schlecht qualifiziere. Wenn ich meinem Gegenüber sage, dass zum Beispiel sein Reden oder Handeln gerade rassistisch war, kommt es sehr darauf an, ihn nicht gleich als „Rassisten“ abzustempeln. Denn dies würde ja heißen, dass er immer so handelt und generell so ist. Ich glaube, es braucht unbedingt den Geist der Unterscheidung zwischen diesen beiden Dingen – dann kann auch der nächste Schritt gelingen: vom „DU“ zum „WIR“.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=36332
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