Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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06OKT2022
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Es ist ein goldener Herbsttag, und ich stapfe mit 140 Kindern durch den Wald. Neben mir laufen Lucie und Moritz, die beiden sind elf Jahre alt. Sie quasseln die ganze Zeit. Es ist Schulwandertag, und die vielen Fünftklässler, ein paar Lehrerinnen und ich wandern auf den Spuren eines Heiligen. Genau genommen auf den Spuren unseres Schul-Heiligen.

Der heilige Landolin soll im 7. Jahrhundert als Mönch aus Irland ins Badische gekommen sein. Das finden Lucie und Moritz spannend, denn Landolin soll genau in dem Wald, in dem sie gerade wandern, als Einsiedler gelebt haben. Eines Tages hat ihn ein Jäger brutal erschlagen. Er hatte ihn wohl für einen Zauberer gehalten, weil die Tiere bei ihm so zahm waren.

Nach ein paar Kilometern kommen wir an eine ganz besondere Stelle. An die Stelle, wo Landolin gestorben sein soll. Die Legende erzählt: fünf Quellen seien damals entsprungen. Die Quellen sprudeln immer noch. Lucie und Moritz hören gebannt zu, als sie erfahren, was noch alles passiert sein soll, nachdem der heilige Landolin gestorben ist. Er habe etwa eine blinde Frau geheilt, weil sie seinen blutigen Leichnam angefasst hat. Deshalb gilt Landolin auch als Patron für Augenkrankheiten.

Ich finde diese Geschichte schaurig und weiß nicht, was ich damit anfangen soll. Da platzt Lucie heraus: „Der Landolin war kein Zauberer. Der konnte einfach gut mit Tieren umgehen.“ Und weiter erklärt sie: „Die Rehe und Wildschweine und so, die haben ihm einfach vertraut.“

Ich stehe da und kriege meinen Mund nicht mehr zu. Und Moritz legt noch einen obendrauf und sagt: „Und bestimmt sind auch ganz unterschiedliche Leute zu ihm gekommen und haben ihn um Rat gefragt. Die haben ihm auch vertraut.“

Vielleicht haben die beiden Kinder mit ihrer Fantasie Recht. Vielleicht hatte Landolin wirklich diese besondere Fähigkeit und war ganz achtsam mit Tieren und Menschen. Womöglich hat er eine besondere Ruhe ausgestrahlt, und alle haben sich in seiner Nähe wohlgefühlt.

Da stehe ich neben Lucie und Moritz und den anderen Kindern an der Quelle. Und jetzt sehe ich, was für mich an diesem Landolin „heilig“ ist. Es ist die Sache mit dem Vertrauen können. Wer vertrauen kann, der kann in einem tieferen Sinn „gut“ leben. Wer vertraut, heißt andere willkommen. Das ist nicht immer einfach. Manchmal braucht es neue Anläufe, und Vertrauen kann auch erschüttert sein.

Landolin konnte so gut vertrauen. Das haben mich die Kinder gelehrt, denn das hab ich vorher gar nicht gesehen.

A propos Sehen. War dafür nicht der Heilige Landolin zuständig? 

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