SWR2 Wort zum Tag

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04OKT2022
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Der Wolf hat ein schlechtes Image. Immer noch. Hartnäckig halten sich die Vorstellungen vom bösen Wolf, der sechs der sieben Geißlein verschlingt – oder auch schon mal eine Großmutter – wie bei Rotkäppchen.
Der Wolf steht im Märchen für eine böse Macht, für etwas Dämonisches.
Aber das ist er nicht. Kurt Kotrschal hat in seinem neuen Buch „Der Wolf und wir“ (2022) gezeigt, was wir Menschen durch ihn und mit ihm in einer langen Entwicklungsgeschichte gelernt haben. „Kein anderes Tier“ – so Kotrschal - , „sei uns Menschen (...) sozial ähnlicher (...) als der  Wolf“.(144) Schließlich stammt der Hund - das erste und von Menschen so geliebte Haustier - vom Wolf ab. Freilich, Wölfe sind keineswegs Kuscheltiere. Deshalb brauchen Viehzüchter und Schäfer Unterstützung, damit die Rückkehr des Wolfes in unsere Breiten nicht ihre Existenz bedroht.
Auch das gehört zu einem realistischen Umgang mit dem Wolf.

Ich habe durch Kotrschals Forschungen dies noch einmal besser verstanden:
Wir brauchen immer wieder Menschen, die Dämonen entdämonisieren. Nicht nur den Wolf - auch andere Mächte, die oft dämonisiert werden:
Das können Vorgesetzte sein - auch Eltern oder ehemalige Lebenspartner. Oder  sehr allgemein:  d e r  Staat.  Oder  d i e  Polizei. Oder  d i e  Medien.

Solche Dämonisierungen können über uns Menschen Macht erlangen.
Auch und gerade dann, wenn es nur Phantasien sind, die mit der Wirklichkeit wenig oder gar nichts zu tun haben. Sie können uns unbegründet in Angst und Schrecken versetzen.

Jesus, so wird in der Bibel häufig erzählt, ging es darum, Menschen von solchen dämonischen Mächten zu befreien. Er hat einmal gesagt, er könne solche bösen Geister austreiben (Lk 11,20). Sein Instrument war sein gebietendes Wort: „Verschwinde, fahr aus diesem Menschen heraus!“ (Lk 4,35)

Dämonen zu vertreiben ist ein Akt der Befreiung.
Wo das passiert, sagt Jesus, „kommt schon das Reich Gottes zu euch!“ (Lk 11,20)

Wenn ich an die bevorstehenden Krisen und Nöte in unserem Land denke, dann hoffe ich, es mögen sich möglichst keine Dämonen in unsere Köpfe und Herzen einnisten. Es gibt nämlich keine dunklen Mächte oder bösen Geister, die uns Corona, die Energie- oder die Klimakrise eingebrockt haben.

Die Probleme und Nöte gehören realistisch betrachtet. Dann können sinnvolle Maßnahmen zu ihrer Bewältigung ergriffen werden. Die können auch mit Einschränkungen verbunden sein.

Literatur: Kurt Kotrschal - Der Wolf und wir – Brandstätter Verlag, Wien, 2022

https://www.kirche-im-swr.de/?m=36289
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