SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

03OKT2022
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Heute ist der »Tag der Deutschen Einheit«. Was bedeutet das eigentlich für heute und für die Zukunft? Was macht diesen 3. Oktober so wertvoll?
1990 - im Jahr der Wiedervereinigung - war ich auf einer Reise in Irland unterwegs. Damals wurde mir als  Deutschem in den Pubs zugeprostet:
„Ihr Deutsche könnt jetzt glücklich sein. Ihr seid jetzt wieder groß und stark. Eine Nation.“ –Ich habe damals zurückhaltend reagiert. Deutschland „wieder groß und stark“? Mir war das unheimlich.

Ich wusste auch nicht, wie der Glückwunsch gemeint war: Ich habe mich gefragt: „Ob da nicht unterschwellig auch Ängste vor einem vereinten und wieder mächtigen Deutschland mitschwingen?“

Heute, - da demokratiefeindliche Staaten und Strömungen in der ganzen Welt an Einfluss und Macht gewinnen - kann ich den Wert der Befreiung von der SED-Diktatur noch mehr wertschätzen. Diktaturen und ihre Diktatoren unterdrücken ihre Völker. Menschenrechte – Frauenrechte – werden mit Füßen getreten.

Auch das Recht auf „ungestörte Religionsausübung“, wie es im Grundgesetz heißt. Sie gehört zu den besonders geschützten Grundrechten in unserem Land (GG Art.4).

Kein junger Mensch wird mehr wie einst in der DDR benachteiligt, wenn er oder sie sich in einer christlichen Jugendgruppe engagiert.

Ich weiß, was das für eine schwere Entscheidung für meine Verwandten in der DDR gewesen ist: „Gehe ich zur Christenlehre? Lasse ich mich konfirmieren? Gefährde ich dadurch vielleicht mein Abitur und die Möglichkeit zum Studium? Oder gehe ich zur staatlich vorgesehenen Jugendweihe?“ Die einen haben sich konfirmieren lassen und mussten ihre Loyalität zum Staat dann noch mehrfach extra bekunden.
Andere sind solchen Hürden aus dem Weg gegangen und haben sich nicht konfirmieren lassen.

Freie Religionsausübung – was für ein hohes Gut ist das. Und wie bedroht ist sie in so vielen Ländern der Welt.

Durch die Begleitung einer iranischen Familie in ihrem Asylverfahren habe ich mitbekommen, wie lebensgefährlich es ist, wenn bekannt wird, dass ein Muslim im Iran Kontakte zu einer christlichen Hauskirche hat. Wenn einer von ihnen festgenommen wird, schweben alle in Angst vor Verfolgung. Ob er oder sie ihre Namen preisgeben wird - oder schon hat? Ihre Handynummern, ihre Adressen?

Als der Familienvater, den ich begleitet habe, von der Festnahme eines Freundes aus seiner Hauskirche gehört hat, da war das für ihn der Grund, Hals über Kopf aus dem Iran zu fliehen. Mit dem Auto nach Teheran – ein Visa gegen viel Geld – ein Flugticket kaufen und fort.

Hier wurde er als Flüchtling anerkannt und kann Christ sein – und seinen Glauben leben. Mit seiner Familie. Religionen können Menschen verschiedener Völker verbinden, über nationale Grenzen hinweg. Sie können gerade so zum Friedenszeichen für religiöse und für nichtreligiöse Menschen werden.

Wo sie aber Eroberungskriege religiös rechtfertigen –und das steckt in der Geschichte des Christentums und des Islam bis heute drin –da werden sie zum Handlanger nationalistischer Interessen. Sie verlieren ihren göttlichen Glanz.

Die Führer der russisch-orthodoxen Kirche sind dafür aktuell ein ganz abschreckendes Beispiel. Da wird dann kein Gott der Liebe mehr sichtbar sondern nationalistischer Hass.
Wenn heute schwarz-rot-goldene Fahnen wehen, wird ein Festtag der Demokratie gefeiert! Die staatliche Einheit bedeutet: Alle, die hier leben, – egal welcher Herkunft oder Religion – sie genießen die Grundrechte und Freiheiten der Verfassung dieses Landes. Es ist nicht der Festtag der Bio-Deutschen, sondern ein Festtag für alle Bürger und Bürgerinnen, die in diesem Staat zusammen leben.

Ein schönes Zeichen dafür: Moscheevereine haben seit vielen Jahren heute am 3. Oktober ihren „Tag der offenen Tür“. Sie laden zu Besichtigungen und Begegnungen ein.
Wie gut, dass in unserem Staat Menschen verschiedener Herkunft und Religion in Frieden und Freiheit zusammen leben können.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=36288
weiterlesen...