SWR1 Begegnungen

SWR1 Begegnungen

02OKT2022
AnhörenDownload
DruckenAutor*in
Dr. Birgit Pfeiffer Foto: Peter Bongard

Annette Bassler trifft Dr. Birgit Pfeiffer, Präses der EKHN

Teil 1: Kirche im Wandel- hin zur Demokratie

Seit 75 Jahren gibt es nun die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau- die EKHN. Ein fröhliches Fest in schwieriger Zeit. Die Krisen in Politik und Wirtschaft überschlagen sich und auch die Kirchen als Institution stehen in der Kritik. Birgit Pfeiffer engagiert sich seit ihrer Konfirmation ehrenamtlich in der evangelischen KircheSeit diesem Jahr ist sie die Präses, das ist das höchste Ehrenamt der EKHN. Warum?

Es ist ein Wertesystem, was mir hilft. Und es ist ein Wertesystem, was über ein politisches Wertesystem hinausgeht. Also mein Menschenbild ist von der Bibel geprägt, und ich möchte in meinen Mitmenschen auch immer ein Stück von Gott sehen. Und ich glaube, wer also ein stabiles Wertesystem und einem ein gutes Menschenbild hat, der ist auch gefeit vor politischen Irrungen und Wirrungen oder vor so Erfahrungen wie im Nationalsozialismus.

Genau diese Erfahrungen haben sich bei der Gründung der EKHN in ihrer Verfassung niedergeschlagen. DIE Gründungsväter- Mütter hat es damals nicht gegeben- sie wollten durch die Struktur der Kirche im Ansatz unterbinden, dass es so etwas wie einen Führerkult oder blinden Gehorsam in der Kirche gibt. Deshalb gibt es auch keinen Bischof, sondern ein Kollegium- ein so genanntes Leitendes Geistiges Amt. Bestehend aus dem Kirchenpräsidenten und geistlichen Repräsentanten aus den Regionen. Die Gesetze aber werden im Kirchenparlament beschlossen von 120 gewählten Vertretern aus dem ganzen Kirchengebiet und allen Arbeitsbereichen der Kirche.

Die Kirchensynode ist sehr demokratisch aufgebaut. Es ist ein Arbeitsparlament, das heißt, die trifft sich zweimal im Jahr über mehrere Tage. Aber dazwischen tagen die Ausschüsse, und die Ausschüsse bereiten alle wichtigen Entscheidungen mit vor oder bearbeiten das weiter, so ein bisschen wie im Landtag oder im Bundestag auch-

und im kirchlichen Parlament ist Birgit Pfeiffer die Präsidentin. Ihre Rolle ist es nicht, Entscheidungen zu treffen, sondern die Synode zu unterstützen, dass sie gute Entscheidungen treffen kann. Also zu moderieren. Als Ärztin, Mutter und Großmutter bringt sie dafür beste Voraussetzungen mit.

Moderieren heißt auch einfach bei den Tagungen der Synode dafür zu sorgen, dass alle zu Wort kommen, die, was sagen möchten, dass das geordnet passiert. Dass es respektvoll passiert. Das ist die Moderationsaufgabe.

Das Amt der Präses ist ehrenamtlich und es ist Nichttheologen vorbehalten. Gerne ist Birgit Pfeiffer auch Gesicht und Repräsentantin der EKHN, liebt es, mit den unterschiedlichsten Menschen ins Gespräch zu kommen, sie miteinander zu vernetzen. Für ihr ehrenamtliches Engagement- nicht nur innerhalb der Kirche- wurde sie mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.

Teil 2 Was evangelisch sein ausmacht

Birgit Pfeiffer engagiert sich schon seit ihrer Konfirmation ehrenamtlich in der evangelischen Kirche. Ihren Beruf als Ärztin hat sie zwölf Jahre lang an den Nagel gehängt, um ihrem Mann den Rücken freizuhalten und die Familie zu managen. Aber das Ehrenamt hat sie sich nicht nehmen lassen, denn das konnte sie gut an die familiären Notwendigkeiten anpassen. Birgit Pfeiffer hat das genossen.

Ich sage immer: „Ehrenamt tut gut!“ Denen die es machen und auch denen, für die es eingesetzt wird. Ich habe sehr hilfreiche Fortbildungen auch gemacht. Ich habe viel gelernt, viel von dem, was ich heute so einsetze. Meine Landeskirche, die EKHN hat mich auf Kurse geschickt, hat mir Coachings angeboten, hab ich alles mitgenommen… also ich hab auch sehr viel zurückbekommen.

Bildung- das war und ist schon immer ein urprotestantisches Anliegen. Genau wie der Einsatz für Menschen in Not. Als im Jahr 2016 viele Geflüchtete aus Syrien bei uns angekommen sind, haben sich rund um die Kirchengemeinden Unterstützerkreise gebildet. Koordiniert und begleitet von Pfarrerinnen und Diakonen haben Ärzte, Rechtsanwältinnen, Handwerker und viele mehr ihre Kompetenz ehrenamtlich eingebracht, um geflüchteten Familien zu helfen. Parteilichkeit in politischen Fragen ist evangelisch.

Zum Beispiel waren wir mit einer der ersten, die die Segnung von gleichgeschlechtlichen Paaren dann auch als Trauung bezeichnet haben. Ich finde, die EKHN meldet sich zu Wort, die Synode gibt Resolutionen raus und ermahnt die Politik, ermahnt sie zur Bewahrung der Schöpfung, zum um fairen Umgang mit allen Menschen.

Das mag von außen so erscheinen, als ob evangelische Kirche einem Zeitgeist hinterherläuft. Vielleicht ist es aber umgekehrt. Dass der Zeitgeist in manchem immer evangelischer wird. Was würde Jesus dazu sagen? Diese Frage hat einer der Gründungsväter der EKHN, Martin Niemöller seiner Kirche ins Stammbuch geschrieben. Birgit Pfeiffer schöpft mit ihrem Engagement aus zwei Ressourcen. Freiheit und Verantwortung.

Ich kann selber in meinem Verhältnis zu Gott und im Gottesdienst Vergebung erfahren. Ich mache Fehler. Ich weiß, ich werde immer wieder Fehler machen. Aber ich habe einen gnädigen Gott, der mir solche Fehler dann auch vergeben kann. Und damit kann ich auch im Kontakt zu Menschen in Beziehungen immer wieder neu anfangen.

Einander vergeben zu können ist oft ein seltenes Geschenk. Wenn ich aber an einen gnädigen Gott glaube, dann verlieren die, die mich abschreiben und auf Fehler festlegen wollen, ihre Macht. Gott mehr zu glauben als den Menschen, das macht mich frei.

Wenn ich selber diese Freiheit erfahren habe und wieder neu anfangen darf - diese Liebe, diese Zuwendung, die muss sich auch anderen dann geben. Also die andere Seite gehört unbedingt dazu. Und das sind so zwei Elemente, wo ich im Lauf der Zeit gemerkt habe, dass das für mich das so das Evangelisch sein ausmacht.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=36281
weiterlesen...