Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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03OKT2022
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Es gibt religiöse Bilder, die passen offenbar nicht mehr in unsere Zeit. Dazu gehört das Bild von der Kirche aus Hirten und Schafen. Ich sehe das richtig vor mir: Die Herde folgt dicht gedrängt, ohne eigene Absicht und in heiliger Einfalt dem Hirten. Der weiß, was für die Tiere gut ist, er führt sie auf saftige Wiesen, und mehr brauchen sie auch nicht. Ab und zu trägt der Hirte dann noch ein schwaches Lamm auf der Schulter. Wenn dieses Bild dann allzu glatt auf die Kirche übertragen wird, wenn Priester und Bischöfe die Hirten sind, während das Kirchenvolk als führungsbedürftige Schafherde übrigbleibt, dann fühle ich mich sehr unwohl.

Vielleicht beruht mein Unbehagen darauf, dass dieses Bild mit den Hirten in der Bibel überhaupt nichts zu tun hat. Dort sind die Hirten keine romantischen Naturburschen, die gerne mal mit Lämmern schmusen. Sie sind Kämpfer und Kenner. Kämpfer, weil ihrer Herde viele Gefahren drohen, von wilden Tieren und von Räubern. Deshalb sind sie bewaffnet, zum Beispiel mit einem massiven Stock und einer Schleuder. Sie sind geübt und bereit, Angriffe auf die Herde abzuwehren. Und die Hirten sind – bis heute – echte Kenner. Tiere, Wetter und Landschaft sind ihnen vertraut, sie kennen die Futterplätze und Wasserstellen, sie schützen die Herde vor Hunger, Durst und Verirrung. Sie halten die Herde am Leben, sogar unter Einsatz ihres eigenen Lebens. Nicht romantische Tierliebe, sondern harter Einsatz für jedes einzelne Schaf machen den guten Hirten aus. Und die Schafe, die sind in der Bibel auch nicht eine tumbe Masse von einfältigen Tieren. Es sind kluge Tiere, die gelernt haben, dass sie dem guten Hirten etwas zutrauen können – sofern er eben für sie kämpft und sich für sie einsetzt.  Als kraftvolle, kämpferische und kenntnisreiche Menschen stellt die Bibel die Hirten vor. So wünsche ich mir auch die kirchlichen Führungskräfte, wenn sie denn schon Hirten sein wollen. Zu allererst aber sehe ich mit der Bibel Gott als den guten Hirten, zu dem ich im Psalm beten kann: „Der Herr ist mein Hirte, nichts wird mir fehlen, Er lässt mich lagern auf grünen Auen und führt mich zum Ruheplatz am Wasser. Meine Lebenskraft bringt er zurück.“

https://www.kirche-im-swr.de/?m=36274
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