SWR3 Worte

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05OKT2022
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Der Schriftsteller Ingo Schulze erkennt mit seiner kleinen Tochter das Wunder des Lebens:

Durch die Sonnenbrille war der Himmel so blau wie in Italien,
und die Kiefernäste waren Pinienzweige.
Für ein paar Sekunden muss ich eingenickt sein – und erwachte,
als Franziska dicht an meinem Kopf vorbeirannte.
Sie lachte, ja juchzte.
Sie lief so schnell, dass ich glaubte sie würde gleich hinfallen,

Franziska blieb stehen, streckte den Arm vor und rief: ‚dahs ihs?‘
Es war ein vollkommen makelloses Stück Orangenschale.
‚Eine Orangenschale‘, sagte ich.
‚Wahs?‘ fragte sie
Eine Orangenschale wiederholte ich und gleich nochmal eine Orangenschale.

Und plötzlich begriff ich: eine Orangenschale.
Franziska … hatte woran auch immer gemerkt;
dass ich ihr endlich die richtige Erklärung gegeben hatte.

Beide betrachteten wir die Orangenschale und mit ihr das Wunder,
dass es die Orangenschale und uns und alle und alles gab,
das ganze Wunder eben.

Schulze, Ingo: keine Literatur oder Epiphanie am Sonntagabend. Aus Schulze, Ingo: Handy. Dreizehn Geschichten in alter Manier.

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