Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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26SEP2022
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Von all den Menschen, von denen in der Bibel die Rede ist, sind mir einige besonders nah. Einer davon ist der Apostel Thomas. Er war einer von Jesus engsten Freunden. Das wenige, was von ihm überliefert ist, zeigt, dass er sehr treu gewesen sein muss. Und wissbegierig. Er hat das sehr ernst genommen mit der Nachfolge. Aber seine Geschichte zeigt auch, wie schwer das gewesen sein muss. Besonders nachdem Jesus gestorben war. Für Thomas ist da eine Welt zusammengebrochen. Und selbst als die anderen Jünger schon überzeugt waren von der Auferstehung und Jesu Sieg über den Tod gefeiert haben, da blieb er untröstlich. „Ich glaub das nicht!“ hat er gesagt. „Das ist mir zu fantastisch. Nichts als Hirngespinste. Ich glaube das nicht, solange ich es nicht mit eigenen Augen sehe!“ Was ich besonders bemerkenswert finde: Thomas hat sich nicht überreden lassen. Egal, was die anderen gesagt haben. Wie sehr sie an seinen Glauben appelliert haben. Thomas ist nicht darauf eingestiegen. Und ich glaube, das ist etwas ganz Wesentliches im christlichen Glauben: In entscheidenden Situationen funktioniert er nicht durchs Hörensagen. Da geht es um die eigene Erfahrung. Da nützt der Glaube anderer nicht. Dann muss ich selber sehen. Selber erleben.

Und Thomas durfte nicht nur sehen. Er durfte es auch begreifen.  Sich wirklich vergewissern. Jesus ist extra für ihn noch einmal wiedergekommen: „Reich Deine Hand her“, hat er zu Thomas gesagt, „fass mich an und vergewissere Dich!“ Und dann hat Thomas glauben können.

Thomas ist zum Anwalt geworden für alle Zweifler. Deswegen fühle ich mich ihm so verbunden. Er zeigt mir immer wieder: Es ist ok, dass Du zweifelst. Das gehört dazu. Die Welt braucht Menschen, die nicht alles glauben. Die Fragen stellen. Sich vergewissern wollen. Das gilt in allen Lebensbereichen, aber das gilt vor allem auch in der Religion. Blinder Gehorsam ist keine christliche Tugend. Dafür steht Thomas. Und dafür steht auch Jesus. Denn er nimmt Thomas genauso an, wie er ist. Er ermutigt ihn. Und genau dadurch baut er eine Brücke vom Zweifel zum Vertrauen.

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