SWR3 Gedanken

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23SEP2022
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Sei mutig und stark! Das hat nicht etwa eine Freundin zu mir gesagt, sondern mein Badeschaum. Es stand auf seiner Verpackung: „Sei mutig und stark!“ Die Journalistin Juliane Marie Schreiber hat in ihrem Buch „Ich möchte lieber nicht“, darauf aufmerksam gemacht, wie sehr wir von solchen Aufforderungen umgeben sind. Sie nennt sie Denk-positiv- Imperative. Und sie hat recht: Ruh Dich aus! Steht auf dem Tee oder Glücksmoment! Nimm Dir Zeit! fordert die Gesichtsmaske und der Badezusatz eben: sei mutig und stark!

Ganz schön aufdringlich. Immer aufgefordert zu werden, das Leben positiv zu nehmen, das macht was mit einem. In erster Linie macht es, dass man die ganzen negativen Gefühle, die es ja auch gibt, irgendwie wegschiebt. Du bist traurig? Nein, das darf nicht sein! Hier: trink einen Glücksmoment!! Du fühlst Dich ausgelaugt und schwach? Warte! Ab in die Badewanne! Das hilft bestimmt. Dabei hilft es natürlich nicht. Wie denn auch? Negative Gefühle gehören zum Leben dazu. Schon vor über 2000 Jahren hat ein weiser Mensch in der Bibel geschrieben- Lachen hat seine Zeit und Weinen hat seine Zeit. Und so ist es auch mit Zorn und Angst. Müdigkeit und Trauer.

Jeder Mensch ist mal traurig oder müde. Und jeder fühlt sich mal schwach und mutlos. Und die Erfahrung zeigt, wenn man diese Gefühle immer nur wegschiebt, dann kommen sie mit Macht zurück und nehmen sich Ihre Zeit. Wäre es da nicht besser, sie von Anfang an anzunehmen? Deswegen fände ich einen Tee ganz gut mit dem Namen: Wein ruhig mal! Und einen Badezusatz, auf dem steht: Du musst gar nichts – vor allem nicht stark und mutig sein. Noch schöner fände ich es allerdings, wenn das mal eine Freundin zu mir sagt.

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