Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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19SEP2022
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„Du hast voll den grünen Daumen“, lobt mich eine Freundin, als sie meine Versuche als Gärtnerin entdeckt. Nach ein paar Jahren gärtnern im Hinterhof mit Töpfen und ohne Platz für Beete, habe ich in diesem Jahr die Chance bekommen, es mal in einem richtigen Garten zu probieren. Und es läuft sogar richtig gut: Tomaten, Zucchini, Paprika, Rote Beete, Kartoffeln, … meine Pflanzen wachsen und gedeihen.

Dabei bin ich mir anfangs oft unsicher gewesen. In einem Beet habe ich zum Beispiel Karotten und Rote Beete ausgesät. Als dann das erste Grün durchgekommen ist, hab ich mich sehr gefreut. Aber was für ein Grün? Irgendwie hat es nicht ganz so ausgesehen, wie das, was rauskommen sollte. Hab ich die falschen Samen gesät? Oder kann es vielleicht sein, dass da Unkraut wächst?

Weil ich nicht wusste, was da nun wächst, hab ich fleißig alles Grüne weitergegossen. Ich hab mich nicht getraut, irgendetwas auszureißen, weil ich Angst hatte, dass ich dann meine gewünschten Pflanzen auch beschädige. Eines Tages haben dann ein paar Radieschen ihre roten Köpfchen aus der Erde blitzen lassen. Überraschend, da ich sie gar nicht ausgesät hatte. Vielleicht sind im Saatband der Karotten ein paar Radieschen-Samen drin gewesen. Wer weiß? Ich hab mich jedenfalls über die Ernte gefreut. Es hat sich gelohnt abzuwarten und nicht gleich alles als schlechtes Unkraut abzutun. Ich hätte sonst keine Radieschen gehabt!

Das Ganze ist für mich ein bisschen so gewesen, wie als Jesus vom Unkraut unter dem Weizen erzählt. Einmal das Unkraut entdeckt, wollen die Arbeiter eines Bauern es aus dem Acker entfernen. Aber der Bauer verbietet es ihnen, erst bei der Ernte soll das Unkraut vom Weizen getrennt und vernichtet werden.

Ich kann’s verstehen und sehe darin auch eine Mahnung, mir nicht zu schnell eine fertige Meinung zu bilden und womöglich voreilig zu handeln. Nicht nur in meinem Garten. Ich kann’s auch gut aufs Zusammenleben übertragen, egal wo ich Menschen begegne. Ob bei der Arbeit, beim Einkaufen oder im Bus. Manchmal gewinne ich durch eine blöde Situation einen komischen Eindruck von einer Person. Etwa wenn mich jemand anrempelt oder ich eine schlechte Bemerkung höre. Und dann ist Vorsicht geboten, damit ich die Person nicht vorschnell abstemple. Besser, wenn ich der Person noch eine Chance gebe, weil womöglich mehr in ihr steckt, als ich gerade wahrnehme. Und dann kann aus vermeintlichem Unkraut, doch noch etwas Genießbares werden.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=36169
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