Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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09SEP2022
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Gerade noch war sie im Fernsehen. Vorgestern. Aufrecht wie immer, gekleidet in einem ihrer unverwechselbaren Kostüme. Gebeugt, aber mit freundlichem Lächeln empfängt sie die neue Premierministerin zu ihrem Antrittsbesuch. Es ist ihre Regierung, die Regierung ihrer Majestät. Ob sie weiß, die wievielte es ist, seit 1952?

Nun ist Queen Elisabeth tot. Von einem Tag auf den anderen. Unerwartet? Ja und nein. Wenn jemand 96 alt wird, rechnet man mit dem Tod. Trotzdem markiert ihr Tod einen Einschnitt. Nicht nur in England. 70 Jahre war sie Königin von Großbritannien. Und Oberhaupt des Commonwealth, zu dem über fünfzig Staaten weltweit gehören. Für die Menschen, deren Königin sie war, war sie die Frau, an der sie sich orientiert haben; die Mutter, die darauf achtet, dass ihnen nichts fehlt; die Großmutter, die anzeigt, wie lang und schön das Leben sein kann. Aber Elisabeth II. war noch viel mehr. Sie war für viele Menschen überall auf der Welt so etwas wie ein Anker. In einer Welt, die sich schnell und immer schneller verändert. Wo Ereignisse eintreten, die man nicht mehr für möglich gehalten hätte - wie dieser schlimme Krieg in der Ukraine. Wo Skandale jede Autorität zerstören. Da war sie ein Fixpunkt.

Immer wenn ich die Queen gesehen habe, dachte ich mir: Wie schafft sie das nur, sich so treu zu bleiben? Sie hat so viel erlebt. Auch viele schwere Ereignisse: Krisen in der eigenen Familie, und den Brexit, der ihre britische Heimat und damit auch sie selbst ein Stück weit isoliert hat von Europa. Es hat mich fasziniert. Wie konsequent sie dabei geblieben ist, wie geduldig und zuverlässig. Immer freundlich, nie parteiisch. Und obwohl ich ein überzeugter Demokrat bin: Manches Mal hätte ich mir gewünscht, dass ihre Stimme mehr ist als nur die einer gekrönten Machtlosen.

Vielleicht ist es bei aller Bewunderung auch gut, dass ein Mensch nicht zu sehr in den Himmel gehoben wird. Auch das Leben einer Königin ist vor Gott nicht mehr wert als das eines kleinen Kindes wie sie in Somalia gerade jeden Tag an Hunger sterben. Für mich lässt sich beides nicht voneinander trennen. Denn jeder Tod hat nur dann einen Sinn, wenn das Leben bei Gott aufgehoben und vollendet wird. Darum bitte ich für die Queen, aber auch für die vielen Unbekannten, die in diesen Tagen sterben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=36166
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